Papst Franziskus auf den Philippinen – Tag 2

Integrität und Ehrlichkeit, ein Ende von Korruption und der Aufbau einer „wirklich gerechten, solidarischen und friedlichen Gesellschaft“ standen im Mittelpunkt des zweiten Tages von Papst Franziskus auf den Philippinen. Am Vormittag traf er den Präsidenten sowie Vertreter aus Politik und Gesellschaft und feierte einen Gottesdienst mit Bischöfen, Priestern und Ordensleuten. Am Abend gab es ein Treffen mit Familien, bei dem er mit scharfen Worten vor einer „ideologischen Kolonisierung“ gewarnt hat, „die versucht die Familie zu zerstören“. Er sprach auch über Papst Paul VI. und seine Enzyklika Humanae Vitae. Am Nachmittag traf er zudem ehemalige Straßenkinder.

Kirche muss an der Seite der Armen stehen

Die Botschaft des Papstes ist klar: „Die Armen stehen im Zentrum des Evangeliums.“ Das fügte er heute Morgen spontan beim Gottesdienst hinzu. Er kritisierte eine Gesellschaft, die „es sich mit sozialer Ausgrenzung, Polarisierung und skandalöser Ungleichheit bequem gemacht hat“. Für die Kirche sieht er einen ganz klaren politischen Auftrag: „Die Kirche ist in den Philippinen berufen, die Ursachen der tief verwurzelten Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu erkennen und zu bekämpfen.“ Er sprach auch davon, dass die Kirche ihre eigenen „Fehler und Sünden“ erkennen müsse. Hier stellt sich gerade auf den Philippinen die Frage, wie sehr die katholische Kirche wirklich auf der Seite der Armen steht. Oder ob sie  – gerade auf dem Land – nicht zu wenig kritisch ist gegenüber Ausbeutung und Ungerechtigkeit von Seiten der Großgrundbesitzer und Reichen im Land. Das Evangelium fordere jeden Christen auf, „ein Leben der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit zu führen und sich um das Gemeinwohl zu kümmern.“ Was er dann den jungen Klerikern mit auf den Weg gab für ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, dürfte für die gesamte Kirche im Land gelten: „Seid denen nahe, die, weil sie inmitten einer von Armut und Korruption belasteten Gesellschaft leben, innerlich zerbrochen und versucht sind, aufzugeben, die Schule zu verlassen und auf der Straße zu leben.“

Kritik an korrupten Politikern

Zuvor hatte er beim Treffen mit den Politikern und Diplomaten bereits eine „Kultur der Ehrlichkeit“ gefordert und festgestellt, dass es aktuell  mehr „denn je notwendig [ist], dass sich die politischen Verantwortungsträger durch Aufrichtigkeit, Integrität und Engagement für das Gemeinwohl auszeichnen.“ Jeder Form der Korruption müsse aufhören. Es gehe darum, „die Fesseln des Unrechts und Unterdrückung zu lösen, die zu krassen und in der Tat skandalösen sozialen Ungleichheiten führen“. Er forderte eine Reform der Sozialsysteme, die die Armut und die Ausgrenzung der Armen aufrechterhielten. Bereits bei dieser Gelegenheit kam er auf die „Verteidigung der fundamentalen menschlichen Werte“ zu sprechen, die in den Demokratien heute immer schwieriger zu bewahren und zu verteidigen seien. Er nannte als Beispiele die unverletzliche Würde jeder menschlichen Person, die Religions- und Meinungsfreiheit sowie das unveräußerliche Recht des Lebens, von den Kindern, die noch nicht geboren seien bis zu den Alten und Kranken.

Scharfe Worte zum Thema Familie

Am Abend kam er dann beim Treffen mit den Familien noch einmal auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu sprechen, als er von der „neuen ideologischen Kolonisierung“ sprach. Die Familie käme immer mehr unter Druck; auf den Philippinen etwa durch die Auswirkungen von Naturkatastrophen. Dann führe aber auch die wirtschaftliche Situation dazu, dass Familien „aufgrund von Migration und Arbeitsplatzsuche getrennt sind, und viele Haushalte sind durch finanzielle Probleme belastet. Während allzu viele Menschen in schrecklicher Armut leben, sind andere gefangen in Materialismus und in Lebensstilen, die das Familienleben zerstören und gegen die grundlegendsten Ansprüche christlicher Moral verstoßen.“ Die Familie sei zudem bedroht „durch zunehmende Bemühungen einiger, die Institution der Ehe selbst neu zu definieren, durch Relativismus, durch die Kultur der Kurzlebigkeit und durch mangelnde Offenheit für das Leben.“

In diesem Zusammenhang fügte er spontan seine Aussagen zu Papst Paul VI. ein. Der habe in einem Moment des Bevölkerungswachstums „die Stärke besessen, die Offenheit für das Leben zu verteidigen“. Zugleich betonte Franziskus, dass Paul VI. durchaus bewusst gewesen sei, dass Familien Schwierigkeiten hätten. Er habe die Beichtväter deshalb zu Barmherzigkeit in konkreten Fällen angehalten; mit Blick auf die gesamte Menschheit habe er aber vor allem die Gefahr einer Zerstörung der Familie durch den Verlust an Kindern gesehen.

Muss die Kirche ihre Haltung ändern?

Franziskus hatte sich bereits mehrfach in diesem Sinn zu Paul VI. und dessen umstrittener Enzyklika Humanae Vitae geäußert. Kardinal Louis Antonio Tagle erklärte im Anschluss an das Treffen gegenüber der Presse, die katholische Kirche im Land werde weiter ihre traditionelle Position zur Sexualmoral verkünden. Angesichts der aktuellen Situation im Land, muss sie sich allerdings die Frage stellen lassen, ob sie allein auf diesem Weg der Gesellschaft hier auf den Philippinen wirklich helfen kann. Das Bevölkerungswachstum von jährlich rund 1,7 Prozent zehrt das Wirtschaftswachstum, das 2013 immerhin bei 7,2 Prozent lag, nach Expertenschätzung fast komplett auf. In den Armenvierteln von Manila leben immer mehr Menschen auf engstem Raum. Der Zuwachs an AIDS-Infizierten ist eine der höchsten weltweit. Laut UNICEF gehört das Land zu den sieben Ländern weltweit, in denen zwischen 2001 und 2009 die Rate der Infizierten um mehr als 25 Prozent gestiegen ist. Nicht falsch verstehen: Kondome allein sind keine Lösung für die genannten Probleme und Phänomene. Aber das, was die katholische Kirche im katholischsten Land Asiens, mehr als 80 Prozent der 99 Millionen Einwohner sind katholisch, bisher macht, trägt nicht zur Lösung bei.

Die Worte über die neue ideologische Kolonisierung und zu Paul VI. fügte Papst Franziskus spontan an. Er bediente sich dabei eines Dolmetschers und sprach auf Spanisch. Insgesamt war die Familienveranstaltung, wie schon der Gottesdienst mit den Klerikern und Ordensleuten am Morgen, sehr von Emotionen geprägt. Familien berichteten über ihr Schicksal angesichts von Armut, Arbeitsmigration sowie der Behinderung von Familienmitgliedern. Es wurde deutlich, dass die katholische Kirche vielen Halt und Hoffnung gibt. Auch wenn im Gespräch mit Teilnehmern deutlich wurde, dass sie zwar die kirchliche Morallehre kennen, aber nicht immer konsequent leben. Verhütung ist für junge Paare auch auf den katholischen Philippinen ein selbstverständliches Thema.

Papst provoziert

Papst Franziskus bleibt sich treu bei seinem Trip auf die Philippinen. Er ermutigt, zugleich provoziert und irritiert er. Damit regt er zur Diskussion und zum Nachdenken an. Das hat er heute mit seinen Aussagen zur Familie bewiesen. Das galt gestern für seine Position zur Meinungsfreiheit. Da sprach er etwas aus, was man angesichts der Ereignisse von Paris in den letzten Tagen nicht aussprechen durfte: auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen, nämlich dort, wo sie eine Form der konstruktiven Kritik verlässt. In Bezug auf seine Aussage mit dem Kinnhaken, stellt sich übrigens die Frage, ob es hier nicht einfach um einen Vergleich ging, um einem nicht-religiös Sozialisierten zu verdeutlichen, was die Beleidigung der Religion für einen Gläubigen bedeuten kann.

P.S. Vatikansprecher Federico Lombardi erklärte auf Nachfrage, dass unter den vom Papst angeführten „Bedrohungen“ auch die gleichgeschlechtliche Ehe verstanden werden könne. Denn für die katholische Kirche gebe es nur eine Ehe zwischen Mann und Frau, so Lombardi.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.