Jugend als „Protagonisten des Wandels“

„In der Kirche gibt es Platz für alle und, wenn es keinen gibt, dann sehen wir bitte zu, ihn zu schaffen, auch für die, die Fehler machen, die fallen, die Mühe haben.“ Mit diesem Bekenntnis und Auftrag hat Papst Franziskus am Donnerstagnachmittag in das Weltjugendtagsgeschehen eingegriffen. Vor 500.000 Jugendlichen erteilte er bei der Willkommensfeier einmal mehr einem exklusiven Kirchenverständnis eine Absage. Am Vormittag hatte er bei einem Treffen mit Studierenden die jungen Menschen aufgerufen, zu „Protagonisten des Wandels“ zu werden hin zu einer Welt, die sozialer, gerechter, solidarischer und nachhaltiger ist. Er sprach von der „Notwendigkeit, das neu zu definieren, was wir Fortschritt und Evolution nennen“. Danach besuchte er ein Projekt des Bildungsnetzwerks „Scholas occurentes“. Es fördert Bildungsprojekte für benachteiligte Kinder in knapp 200 Ländern.

Über eine halbe Stunde fuhr Franziskus durch die Menge der 500.000. (Quelle: Erbacher)

Eine Kirche für alle, alle, alle

Mit der Willkommensfeier geht der Weltjugendtag in seine finale Phase. Papst Franziskus nutzte die Gelegenheit, um die jungen Menschen zu bestärken, auf sich selbst zu vertrauen. Jeder sei so geliebt, wie er ist. Er warnte die Jugendlichen vor den „Illusionen des Virtuellen“. „Denn viele Wirklichkeiten, die uns anziehen und Glück versprechen, entpuppen sich dann als das, was sie sind: vergängliche, überflüssige Dinge, Surrogate, die im Inneren eine Leere hinterlassen“, erklärte der Pontifex. In der Kirche, so Franziskus, hätten alle einen Platz, so wie sie sind. Er bezog sich hier auf Briefe von Jugendlichen an ihn, in denen diese von anderen Erfahrungen berichtet hatten. Von Ängsten, keinen Platz in der Kirche zu haben, weil ihnen das Menschen so signalisierten. Dem widersprach das Kirchenoberhaupt vehement: „In der Kirche gibt es Platz für alle.“ Denn, so Franziskus, „der Herr zeigt nicht mit dem Finger auf uns, sondern breitet seine Arme aus“. Das zeige Jesus am Kreuz. „Er verschließt nicht die Tür, sondern lädt ein einzutreten; er hält nicht auf Abstand, sondern nimmt auf.“ Immer wieder wiederholte Franziskus: „Die Kirche ist für alle da, alle, alle, alle. Wiederholt es jeder in seiner Sprache: alle, alle, alle. Denn Gott liebt uns so, wie wir sind, und nicht, wie die Gesellschaft es will.“

Am Morgen hatte er beim Treffen mit Studierende diese aufgefordert, aus den eigenen Komfortzonen herauszugehen. „Suchen und riskieren seien die Verben der Pilger.“ Zuvor hatte die Direktorin der Katholischen Universität von Lissabon davon gesprochen, dass sich alle als Pilger fühlten. „Habt also den Mut, Ängste durch Träume zu ersetzen: nicht Verwalter von Ängsten, sondern Unternehmer von Träumen“ sollten die jungen Menschen sein. Dabei mahnte er an, dass Bildung auch eine soziale Verantwortung mit sich bringe. „Der Studienabschluss sollte nicht nur als Befugnis zum Aufbau von persönlichem Wohlstand betrachtet werden, sondern als Auftrag, sich für eine gerechtere und integrativere, das heißt für eine fortgeschrittenere Gesellschaft einzusetzen.“ In diesem Sinne machte er sich die Formulierung einer Studentin zu eigen, dass die jungen Menschen zu „Protagonisten des Wandels“ werden sollten.

Fortschritt neu definieren

Er träume davon, „dass eure Generation eine Generation von Meistern wird. Meister der Menschlichkeit. Meister des Mitgefühls. Meister der neuen Chancen für die Welt und ihre Bewohner. Meister der Hoffnung“. Dabei warnte er vor Polarisierungen. Gerade als katholische Bildungseinrichtung sollten die Gesamtvisionen im Blick sein. Dabei reiche es nicht aus, „dass ein Christ überzeugt ist, er muss überzeugen“, mahnte Franziskus. Dazu müsse der Glauben in die heutige Zeit übersetzt werden. „Ohne Inkarnation wird das Christentum zu einer Ideologie“, erklärte er. Dabei griff Franziskus einige brennende Themen auf. So müsse etwa der Wirtschaft die „Würde zurückgegeben werden“, die ihr zustehe, „damit sie nicht dem ungezügelten Markt und der Spekulation zum Opfer fällt“. Hier klingt wieder die sehr kritische Sicht dieses Papstes auf das aktuelle Weltwirtschaftssystem an.

Beim Thema Umwelt und Klimawandel wurde er deutlich. „Wir können uns nicht mit bloßen Linderungsmaßnahmen oder zaghaften und zweideutigen Kompromissen zufriedengeben“, erklärte Franziskus und zitierte seine Umweltenzyklika „Laudato si“. In diesem Fall seien „die Mittelwege nur eine kleine Verzögerung des Zusammenbruchs“. Es gehe daher darum, „sich dessen anzunehmen, was leider weiterhin aufgeschoben wird: die Notwendigkeit, das neu zu definieren, was wir Fortschritt und Evolution nennen“. Bei der Veranstaltung an der Universität wurde an verschiedene Initiativen erinnert, die im Pontifikat von Franziskus lanciert wurden etwa die „Economy of Francis“ oder der „Globale Bildungspakt“ für eine „offene und integrative Bildung“, den der Vatikan 2019 initiiert hatte.

Werben für Wandel

Die Botschaft von Papst Franziskus an die jungen Menschen ist: Mut machen und sie für einen Wandel in Kirche und Gesellschaft zu gewinnen. Dabei geht es im weniger um die Kirche als vielmehr um eine Umgestaltung von Wirtschaft und Politik. Für diesen Papst kommt die echte Veränderung von unten, nicht von oben. Deshalb wirbt er in Lissabon einmal mehr für diesen grundlegenden Wandel hin zu einer offenen Kirche und zu einer Welt mit mehr Gerechtigkeit, Solidarität, Geschwisterlichkeit und einem sorgsameren Umgang mit der Schöpfung.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.