Chile: Gesamte Bischofskonferenz bietet Rücktritt an

Es ist ein beispielloser Akt, der sich an diesem Freitag im Vatikan vollzogen hat. Die gesamte chilenische Bischofskonferenz bot Papst Franziskus ihren Rücktritt an. Das ist das Ergebnis der dreitägigen Gespräche im Vatikan, mit denen die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Chile endlich vorangebracht werden soll. Damit ist nun der Papst am Zug. Er wird in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden müssen, welche Bischöfe wirklich gehen müssen und wer bleiben darf. Das Beispiel Chile zeigt einmal mehr, dass es beim Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zum einen um die persönliche Verantwortung der Täter geht sowie derer, die vertuscht und die Aufarbeitung verschleppt oder gar verhindert haben. Es geht aber auch um das System und die Frage nach der Ausübung von Macht in der katholischen Kirche. Das scheint Papst Franziskus spätestens jetzt begriffen zu haben. Denn in einem zehnseitigen Brief, den er den Bischöfen am Dienstag zum Auftakt des Treffens ausgehändigt hatte, schreibt er ganz klar. Das Problem könne man nicht lösen „nur mit der Absetzung von Personen, was geschehen muss“. Aber das sei nicht ausreichend. „Das Problem ist das System“, so das Kirchenoberhaupt. Aber welche Konsequenzen zieht er daraus?

Gruppenbild zum Abschluss des Treffens mit den Bischöfen Chiles im Vatikan. (Quelle: ap/vatican news)

Franziskus benennt Versagen klar

Es war einmal mehr der Aufschrei der Opfer, der die gewaltige Lawine auslöste, die jetzt vielleicht eine komplette Bischofskonferenz hinwegfegen könnte. Papst Franziskus hatte mit seiner schroffen Art beim Besuch Chiles im Januar diesen Aufschrei förmlich provoziert. Die Anschuldigungen gegen den Bischof von Orsono, Juan Barros, er habe vom vielfachen Missbrauch an Minderjährigen durch seinen geistlichen Ziehvater und Priester Fernando Karadima gewusst, ja sei sogar selbst Täter gewesen, seien alles Verleumdungen. Es gebe keine belastbaren Indizien, so Franziskus auf die Frage von Journalisten. Mittlerweile musste er einsehen, dass er völlig falsch lag in der Bewertung der Situation in Chile. In einem Brief bat er um Entschuldigung. Ein Sonderermittler legte ihm einen 2.300 Seiten umfassenden Untersuchungsbericht vor, nachdem er über 60 Opfer gehört hatte. Franziskus bestellte daraufhin die Bischöfe zum Rapport in den Vatikan.

Noch bevor die Bischöfe in den Vatikan kamen, sprach der Papst mit drei Opfern. Ausführlich berichteten die ihm über ihr Schicksal und ihre vergeblichen Versuche, ihre Fälle aufzuarbeiten. Liest man den 10-seitigen Brief, den Franziskus den chilenischen Bischöfen zum Auftakt der Beratungen am Dienstag vorlegte, könnte man den Eindruck bekommen, dass dem Pontifex nach dem Treffen mit den Opfern der Kragen geplatzt ist. Aufmerksame Leser werden anmerken, dass die Dinge doch längst bekannt seien. Aber die Kritik nun aus päpstlicher Feder zu lesen daran, dass Täter einfach versetzt wurden, dass Anzeigen als „unglaubwürdig qualifiziert“ wurden, obwohl sie „schwere Indizien“ enthielten, dass Druck ausgeübt worden sei auf diejenigen, die Prozesse führen sollten und dass belastende Dokumente zerstört wurden, das ist neu. Der Vatikan veröffentlichte am Ende des Treffens nur eine knappe Erklärung und einen Abschlussbrief des Papstes an die Bischöfe. Allerdings wurde der Auftaktbrief des Papstes mittlerweile auch bekannt. Der diente als Ausgangspunkt für eine zunächst eintägige Meditationsphase und die daran anschließenden Gespräche der Bischofskonferenz mit dem Papst.

Wann wird das System verändert?

Der katholischen Kirche in Chile steht nun neben der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals eine „pastorale Bekehrung“ bevor. „Das Problem im System“, das Franziskus im Kontext des Missbrauchsskandals ausmachte, dürfte für die Kirche als Ganzes gelten. Der Papst spricht mit Blick auf die Kirche in Chile von Elitarismus und Klerikalismus und kommt zu dem Schluss, dass diese „Synonyme für eine ekklesiale Perversion“ seien. Es wird also ein grundlegender Haltungswandel notwendig sein. Davon sprechen die Bischöfe auch in der Erklärung, mit der sie über ihr kollegiales Rücktrittsangebot an den Papst informierten. Der kann nun zeigen, dass es ihm ernst ist. Wichtig ist, dass er aus den Vorgängen in Chile lernt. Auch wenn die Verhältnisse sicherlich nicht einfach auf andere Länder übertragen werden können, so muss sich die katholische Kirche dennoch intensiver und offensiver als bisher der Frage stellen, wo die systemischen Ursachen für den Missbrauch und für die Vertuschung und die Verschleppung der Aufarbeitung stecken. Sie ist es den Opfern schuldig. Ganz abgesehen davon, könnte sie dadurch an Glaubwürdigkeit gewinnen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

18 Kommentare

  • Novalis
    19.05.2018, 11:10 Uhr.

    Einmal davon abgesehen, dass der Papst offenkundig und dankbarerweise Reue über einen Fehler zeigt: Da hat ihn schlicht eine erzkonservative, ihm feindlich gesonnene Bischofskonferenz auflaufen lassen wollen – und bekommt jetzt hoffentlich die verdiente Quittung. Auch in Deutschland sind die sieben papstfeindlichen Bischöfe auf Granit gestoßen. Gut so. Schlimm, dass sich z.B. Rudolf Voderholzer mit Leuten vom äußersten rechten Rand der Kirche (von Stockhausen, Roos), bekennenden Homophoben (Windisch) und Afdler (Starbatty) gemein macht.
    Allerdings wird ohne Aufarbeitung des Sexualkomplexes der Kirche das System nie verändert. Da alle Menschen masturbieren, aber für Priester das nicht nur eine Sünde, sondern ein Zölibatsbruch ist, „verdrücken“ sie psychologisch das Problem. Aber kommt eben wieder – denn ausschwitzen kann man es sich nicht. Und wenn man überdies auf dem emotional-entwicklungspsychologischen Stand von Pubertierenden stehenbleibt, ist es kein Wunder, wenn man(n) sein Begehren auf Pubertierende richtet. Lasst also Priester heiraten, wenn sie einander lieben – so heißt nicht nur ein alter Witz. Ich bin überzeugt, dass dann nicht alle Probleme gelöst wären, aber es wären bestimmte Probleme wie hinweggeblasen und viele Priester würden dank gutem (und nicht nur heimlich praktiziertem) Sex viel befreiter wirken.

  • bernardo
    20.05.2018, 17:50 Uhr.

    „Auch in Deutschland sind die sieben papstfeindlichen Bischöfe auf Granit gestoßen.“

    Hmm, wer sind diese „papstfeindlichen Bischöfe“ und was veranlasst Sie, ihnen Papstfeindlichkeit zu unterstellen?

    „Der Papst spricht mit Blick auf die Kirche in Chile von Elitarismus und Klerikalismus und kommt zu dem Schluss, dass diese „Synonyme für eine ekklesiale Perversion“ seien.“

    Ich glaube kaum, dass diese rüde Sprache irgendein Problem lösen wird. Ein Vorgesetzter, der fortwährend seine Mitarbeiter beschimpft, ist ein schlechter Vorgesetzter, der irgendwann seine Autorität verspielt hat, den man nicht mehr achtet, sondern höchstens noch fürchtet.

    • Novalis
      21.05.2018, 19:01 Uhr.

      Es ist eine Verwechslung von Wirkung und Ursache, wenn das permanente Gegendenpapstarbeiten der Kurie als Wirkung von ach so rüden Papstreden aufgefasst wird. Es ist von Anfang an genau umgekehrt. Und auch dass der Papst in der Diktion die Kurie zur Rede stellt ist nicht neu. Das gab und gibt es seit Jahrhunderten. Kann man auch hübsch nachlesen in Volker Reinhardt, Pontifex. Aber eine berechtigte Sachkritik am Papst ist eben nicht im Interesse der Rechtsreaktionären, die im Grunde nur die Botschaft Christi vergewaltigt.

      • bernardo
        22.05.2018, 11:37 Uhr.

        Es stimmt, Reinhardt verweist auf namentlich zwei Päpste, Benedikt XIII. und Benedikt XIV. Allerdings nutzen sich auch solche „Rollenspiele“ (Reinhardt) ab, wenn sie inflationär verwendet werden. Es ist wie ein Chef, der seinen Untergebenen ständig ihre Fehler, ihre Unzulänglichkeit, ihr Unvermögen vorhält. Dieser Papst ist doch so modern – vielleicht sollte es sich mal einen Motivations“coach“ ins Haus holen? Ein „Ming the Merciless“ hätte das vielleicht besonders nötig…

      • neuhamsterdam
        22.05.2018, 23:36 Uhr.

        „rüden Papstreden“
        Seit letzter Woche geht mir der Mühlhiaslspruch „wenn der eiserne Hund die Donau heraufbellt, dann…“ im Kopf rum. Denn mir ist die Äußerungsweise des Papstes und die Ähnlichkeit des Spruches aufgegangen. Und tatsächlich gibt es hier einen Kommentar, der auf diesen Aspekt des Pontifikates Bezug nimmt, ohne daß ich etwas hätte herbeikonstruieren müssen. Eigenartig.

    • Brigitta
      23.05.2018, 13:55 Uhr.

      Für mich ist das keine rüde Sprache sondern eine sachliche Beschreibung der Situation

      • Novalis
        24.05.2018, 12:23 Uhr.

        Natürlich, nichts anderes.

  • Brigitta
    24.05.2018, 14:36 Uhr.

    Und inzwischen stellt sich heraus, dass nicht alle Bischöfe einen Brief an Franziskus geschrieben haben – trotz ihres Beschlusses in Rom.

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