Befreiungstheologie und Heiliges Jahr im Vatikan

Das lässt schon aufhorchen, was in diesen Tagen im Vatikan passiert. Heute kündigte das Presseamt des Papstes an, dass nächsten Dienstag Gustavo Gutiérrez erstmals bei einer offiziellen Pressekonferenz des Heiligen Stuhls sprechen wird. Der auch als „Vater der Befreiungstheologie“ bezeichnete peruanische Dominikaner gilt für viele konservative Kirchenhierarchen bis heute als „persona non grata“. Jetzt ist er einer der Referenten bei der Jahrestagung von Caritas International im Vatikan, die vom 12. bis 17. Mai in Rom stattfindet. Aufsehen erregte der Papst Ende vergangener Woche durch seine Videobotschaft zur Eröffnung der Expo2015 in Mailand. Er hatte einmal mehr die „Kultur des Überflusses“ kritisiert, von der die Weltausstellung selbst ein Teil sei. In Deutschland haben die katholischen Bischöfe eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts beschlossen – eine kleine Bewegung, die allerdings sicher eine ganze Reihe Kritiker auf den Plan rufen wird.

Entspannung unter Franziskus

Im Herbst 2013, Papst Franziskus war gerade ein halbes Jahr im Amt, sprachen italienische Medien von einer Aussöhnung zwischen Vatikan und Befreiungstheologie. Anlass war ein gemeinsamer Auftritt des Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, und Gustavo Gutiérrez bei einer Buchmesse im norditalienischen Mantua. Die beiden stellten die italienische Ausgabe ihres gemeinsamen Buches „An der Seite der Armen“ vor, das bereits 2004 auf Deutsch erschienen war.

In der Tat war der gemeinsame Auftritt auf den ersten Blick ungewöhnlich. Bei genauerem Hinsehen musste man aber feststellen, dass Müller und Gutiérrez seit vielen Jahrzehnten gute Freunde sind. Wenige Tage nach dem Auftritt in Mantua traf der Befreiungstheologe Papst Franziskus bei einer Morgenmesse in Santa Marta im Vatikan. Gutiérrez wurde von der Vatikanzeitung L’Osservatore Romano interviewt und gab dabei zu Protokoll, dass der Vatikan ja stets nur ganz bestimmte Tendenzen in der Befreiungstheologie verurteilt habe, aber nie diese Strömung als Ganze. Der Erzbischof von Lima, Kardinal Juan Luis Cipriani Thorne, kommentierte die Ereignisse damals mit den Worten, Müller, der das Treffen mit dem Papst eingefädelt hatte, sei zwar ein guter deutscher Theologe, aber „ein bisschen naiv“ in Sachen Befreiungstheologie.

Expo ist Teil der „Kultur des Überflusses“

Die Expo-Ansprache des Papstes von vergangener Woche wurde ja schon in einigen Kommentaren angemerkt. Sie ist einmal mehr ein Beispiel dafür, dass der Papst durchaus für Klartext steht und sich nicht hinter diplomatischen Floskeln versteckt. Er forderte eine Globalisierung der Solidarität, sprach von den Gesichtern der Hungernden, die die Besucher der Expo vor Augen haben sollten: „Ich wünsche mir, dass jeder von heute an, der zur Expo nach Mailand kommt und durch diese wunderbaren Pavillons geht, die Anwesenheit dieser Gesichter wahrnehmen kann. Es ist eine versteckte Präsenz, aber sie muss die Hauptrolle bei diesem Ereignis spielen: Die Gesichter der Männer und Frauen, die Hunger haben, krank werden und sterben, weil sie keine oder nur schädliche Ernährung haben.“ Vor allem aber seine Aussage, dass die Expo selbst ein Teil des „Paradoxes des Überflusses“ sei, die einer „Kultur des Wegwerfens“ gehorche und nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung führe, kam bei vielen Offiziellen der Expo nicht gut an.

Konkrete Zeichen im Heiligen Jahr?

Gespannt darf man vor diesem Hintergrund sein, welche besonderen Zeichen der Barmherzigkeit der Papst im Rahmen des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit setzen wird. Denn solche kündigte heute der Cheforganisator, Erzbischof Salvatore Fisichella, bei einer Pressekonferenz im Vatikan an. Was der Papst konkret machen wird, wenn „er sich aufmacht zu Menschen in existenziellen Randsituationen“, wollte Fisichella nicht verraten. Auch wollte er nicht spezifizieren, welches „konkrete Hilfsprojekt“ der Papst initiieren will, „das als bleibende Erinnerung an das Jubiläum fortbestehen soll“.  Es ist also nach wie vor Vieles offen und vage. Einerseits überrascht das nicht; kam die Ankündigung des Heiligen Jahres durch den Papst quasi wie aus dem Nichts. Andererseits erklärte Erzbischof Fisichella heute, dass Franziskus mit ihm am 28. August letzten Jahres erstmals über seine Idee mit dem Heiligen Jahr gesprochen habe.

Fisichella unterstrich, dass das Heilige Jahr sowohl in Rom als auch in den einzelnen Ortskirchen gefeiert werden soll. Daher gebe es erstmals auch in den Diözesen „Heilige Pforten der Barmherzigkeit“. In Rom wird es einige zentrale Heilig-Jahr-Feiern geben etwa am 3. April für Ordensgemeinschaften und Geistliche Bewegungen, am 29. Mai für Diakone, am 3. Juli für Priester, am 4. September 2016 für caritative Dienste sowie am 25. September für Katecheten. Am 6. November 2016 will Franziskus mit Gefangenen einen Gottesdienst im Petersdom feiern. Informationen gibt es auf einer eigenen Internetseite zum Jubiläum.

Auf die Veränderungen im Arbeitsrecht, die die deutschen Bischöfe in der vergangenen Woche beschlossen und heute veröffentlicht haben, möchte ich an dieser Stelle nur hinweisen. Mehr dazu dann in den nächsten Tagen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.