Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Trügerische Ruhe

Am zweiten Tag der Sedisvakanz scheint es in Rom ruhig zu sein. Beim mittäglichen Briefing hatte Vatikansprecher Federico Lombardi kaum interessante Neuigkeiten zu berichten. Wir wissen jetzt, dass 75 der 207 Kardinäle dauerhaft in Rom leben. 66 Kardinäle sind bereits aus der ganzen Welt angereist oder haben ihr Kommen für das Wochenende bzw. Anfang nächster Woche angekündigt. Wie viele davon jeweils zu den Papstwählern gehören, ist nicht bekannt. Die deutschen Papstwähler werden wohl bis zur Wochenmitte alle in der Ewigen Stadt eingetroffen sein. Bis dahin dürfte dann auch der Termin für den Beginn des Konklaves stehen. In den Gassen rund um den Vatikan kommen viel zur Überzeugung, dass die Kardinäle sich Zeit lassen wollen für Beratungen. Wackelt da gar der 11.3. als Starttermin für das Konklave?

Das ist alles Kaffeesatzleserei. Wie auch die Suche nach dem künftigen Papst. Denn hinter den Kulissen bzw. den Mauern der römischen Palazzi ist es alles andere als ruhig. Jeden Tag wird ein neuer Papabile „durch die Zeitungslandschaft getrieben“. Heute taucht zum Beispiel der Erzbischof von Florenz unter den Papabile auf: Giuseppe Betori. Der Bibelwissenschaftler feierte vergangenen Montag seinen 66. Geburtstag; passt also ins gesuchte Altersspektrum von knapp über 60 bis knapp über 70 Jahren. Er war Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz und ist seit 2008 Erzbischof in Florenz. Was ihn auszeichnet? Er gehört wohl nicht zu den üblichen italienischen Seilschaften; ist ein Mann der Pastoral. Doch kann er auch einen Apparat wie die Kurie führen?

Vielleicht muss er das gar nicht können. Denn hier in Rom mehren sich Stimmen, die Kardinäle könnten in den kommenden Tagen nicht nur über den nächsten Papst sprechen, sondern auch über den nächsten Kardinalstaatssekretär. Der Frust über den bisherigen, Kardinal Tarcisio Bertone, ist so groß, dass man gerne über die Qualifikation des zweiten Mannes hinter dem Pontifex sprechen wolle bzw. gar über Anforderungen für eine Art Führungsmannschaft. Freilich kann die Wahl eines bestimmten Kandidaten zum Papst nicht an Bedingungen geknüpft werden, wie etwa Personalfragen; doch gibt es durchaus Strömungen, die dem neuen Stellvertreter Christi gerne ganz klare Aufträge mitgeben möchten. Dies geht sogar so weit, dass Kritiker des Rücktritts Benedikts XVI. es gerne sähen, dass der neue Papst möglichst in seiner ersten Predigt gleich feststellen möge, dass er bis zum Tode im Amt bleiben werde. Sie sehen das Papstamt durch Benedikts Schritt beschädigt. Die Forderung, die die Prälaten den italienischen Kollegen seit Tagen in die Blöcke diktieren, erscheinen absurd; zeigen aber, dass der Amtsverzicht Joseph Ratzingers bis in den Senat der Kirche hinein Verunsicherung hervorgerufen hat.

"Wahlkampf" vor der Basilika Santa Maria Maggiore (reuters)

Unterdessen hat eine Künstlergruppe schon einmal mit Wahlkampf für den afrikanischen Kardinal Peter Turkson begonnen. An mehreren Stellen der Stadt tauchten gestern am späten Nachmittag Plakate im Stile des italienischen Wahlkampfs auf. Unter den Journalisten rund um den Vatikan rechnet man derzeit einem afrikanischen Kandidaten nur geringe Chancen aus. Der Blick richtet sich da eher nach Amerika (Nord und Süd). Und natürlich nicht zu vergessen: Kardinal Betori, ein Italiener. Zumindest für heute.

Im Zeichen des Schirms

Nun ist auch die katholische Kirche unter einen Schirm geschlüpft; allerdings handelt es sich dabei nicht um einen Rettungsschirm, sondern um den Schirm des Sedisvakanz-Wappens. Der Ombrellino, der gelb-rot gestreifte kegelförmige Seidenschirm, der ursprünglich dem Schutz von kirchlichen Würdenträgern und als Hoheitszeichen diente, ist nun über den gekreuzten Petrusschlüsseln angebracht. Er ziert eigens für die Sedisvakanz aufgelegte Briefmarken der Vatikanpost und wird auch auf eigens geprägten Sedisvakanz-Euromünzen zu sehen sein. Vor den Schaltern der Vatikanpost bildeten sich bereits heute lange Schlangen; die Münzen kommen erst im Mai oder Juni auf den Markt.

 

Einladungsbrief des Kardinaldekans an die Kardinäle - Briefmarken der Sedisvakanz

Einen Schutzschirm könnte die katholische Kirche derzeit allerdings vielleicht gut gebrauchen. Nach wir vor wird heftig spekuliert über die Gründe des Rücktritts Benedikts XVI. und vor allen Dingen den Zustand der Kurie. Viele Beobachter wollen nicht glauben, dass der deutsche Pontifex nur wegen seines Alters zurückgetreten ist. Es gibt immer neue Spekulationen über die Hintergründe der Vatileaksaffäre bzw. Dinge, die damit in Verbindung stehen. Just zum Ende des Pontifikats berichtete jetzt das italienische Wochenmagazin „Panorama“ über eine angebliche groß angelegte Überwachungsaktion im Staat des Papstes. Monatelang habe die vatikanische Gendarmerie Telefone und Emails überwacht und ausgewertet; dazu sei die Videoüberwachung ausgebaut worden. „Big brother“ im Vatikan!? Angeordnet habe dies Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Es war seit langer Zeit bekannt, dass im Rahmen der Vatileaks-Ermittlungen die Gendarmerie auch die Kommunikationsmittel überprüft hat. Vatikansprecher Federico Lombardi stellte zu den Berichten fest, dass es einige wenige Überwachungsaktionen (2 oder 3) unter Aufsicht der Ermittlungsrichter gegeben habe.

Doch was ist mit den Ergebnissen passiert? Wenn, wie in dem Panorama-Bericht angegeben, die Ermittlungsergebnisse der Vatikanpolizei, die mit Sicherheit auch sehr persönliche Daten einzelner Vatikanmitarbeiter und –bewohner enthalten, nicht nur den Ermittlungsrichtern, sondern auch dem ehemaligen Kardinalstaatssekretär Bertone und Innenminister Becciu übergeben wurden, dann bekommt die ganze Aktion natürlich eine besondere Brisanz. Hier zeigt sich einmal mehr die Schwierigkeit, zu der die fehlende ordentliche Gewaltenteilung im kleinen Kirchenstaat führen kann.

In diesen Tagen sind die Stimmen immer mehr Kardinäle zu vernehmen, die bei den Kardinalsversammlungen ab Montag genaue Informationen über die Vorgänge im Vatikan haben möchten. Benedikt XVI. hatte bei seinem letzten Treffen mit der dreiköpfigen Kardinalskommission am Montag zwar verfügt, dass das geheime Dossier der Kardinäle nur vom neuen Papst eingesehen werden dürfe. Er hat den Kardinälen Herranz, Tomko und di Giorgi allerdings gestattet, ihren Mitbrüdern in den Kongregationssitzungen Rede und Antwort zu stehen, wenn sie gefragt werden. So ziehen neben dem Schatten des Missbrauchsskandals auch die dunklen Wolken von Vatileaks über das Konklave.

Benedikt XVI., der emeritierte Papst, hat unterdessen einen erholsamen Tag in Castelgandolfo verbracht – den ersten als Papst in Pension. Gestern Abend hat er sich zusammen mit seinem Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, im Fernsehen die Berichterstattung über seinen letzten Arbeitstag und das Pontifikat angesehen. Er soll ganz zufrieden gewesen sein mit dem, was er da gesehen hat, berichtete heute der Vatikansprecher mit einem Schmunzeln. Nach einer ruhigen Nacht feierte der Papa emeritus heute Morgen um 7 Uhr die Messe. Nach Stundengebet und Frühstück widmete er sich der Lektüre theologischer Bücher. Für den Nachmittag war zum Rosenkranzgebet ein Spaziergang in den Gärten der Päpstlichen Villen vorgesehen. Benedikt XVI. habe auch einige CDs mit klassischer Musik mit nach Castelgandolfo genommen, wusste Lombardi zu berichten. Während der Papst in den letzten Tagen seiner Amtszeit am Abend jeweils Klavier gespielt habe, sei das Musizieren gestern Abend ausgefallen. Stattdessen machte Benedikt einen kleinen Spaziergang durch die Empfangsräume des Apostolischen Palasts mit Blick auf den Albaner See. Im Vatikan versiegelte zur selben Zeit der Camerlengo die Privatgemächer des alten Papstes.

 

Während sich der emeritierte Papst, befreit von der Last des Amtes, in Castelgandolfo erholt, laufen in Rom die Vorbereitungen für die erste Kardinalsversammlung. Am Montag um 9.30h treffen sich alle bis dahin in Rom anwesenden Kardinäle zum ersten Mal. Auch für den Nachmittag ist noch ein Treffen angesetzt. Den Konklavetermin wird es aber frühestens am Dienstag geben, denn, so Pressesprecher Lombardi, die Kardinäle haben viel zu besprechen.

Sede vacante

Der Stuhl Petri ist leer. Papst Benedikt XVI. hat sein Amt aufgegeben. Die katholische Kirche ist ohne ein irdisches Oberhaupt. Eine historische Stunde. Denn zum ersten Mal seit Jahrhunderten gibt es einen emeritierten Papst. Die Stimmung in Rom ist seltsam; mit großer Aufmerksamkeit verfolgten Römer, Pilger und Touristen die letzten Stunden des deutschen Pontifex. Das Fernsehen übertrug seinen „Umzug“ nach Castelgandolfo am Nachmittag live – inklusive des Hubschrauberflugs. Bereits am Morgen war in den Bars rund um den Petersplatz auf den Bildschirmen, auf denen sonst fast nur Sport läuft, die Verabschiedung des Papstes von den Kardinälen zu sehen.

Bescheiden hat Benedikt XVI. sein Pontifikat beendet. Eine kurze Ansprache an die Kardinäle heute morgen; Dank für die gemeinsame Arbeit, ein einfacher Gedanke Romano Guardinis über die Kirche, die keine erfundene Sache sei, sondern eine Realität, und schließlich das feste Versprechen, dem neuen Papst seine „bedingungslose Ehrerbietung und Gehorsam“entgegenzubringen. „Ich bin nur noch einfacher Pilger“, so Benedikt XVI. nach seiner Ankunft in Castelgandolfo heute Mittag zur Menge auf dem Dorfplatz. Das Ende des Pontifikats steht etwas im Gegensatz zu vielen Bildern, die aus den letzten acht Jahren in Erinnerung sind. Dafür sind sie aber vielleicht umso typischer für den Menschen Joseph Ratzinger. Leise Töne, sehr spirituell etwa seine Ansprache gestern bei der Generalaudienz, dazu kein großes Zeremoniell.

Sehr emotionall war der Abschied aus dem Apostolischen Palast im Vatikan. Im Damasushof, wo sonst ausländische Staatsgäste begrüßt werden, hatten sich zu dem Anlass viele Mitarbeiter des Staatssekretariats und anderer vatikanischer Behörden versammelt.  Während Benedikt XVI. gefasst wirkte, hatte nicht nur sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein Tränen in den Augen. Rund um den Petersplatz senden die TV-Anstalten aus aller Welt von den Dächern der anliegenden Palazzi und eigens aufgebauten Tribünen direkt vor dem Petersplatz. In der Berichterstattung steht heute noch einmal Benedikt XVI. im Mittelpunkt; aber der Blick geht überall auch schon nach vorne.

144 der 208 Kardinäle waren heute Morgen bei der Verabschiedung im Apostolischen Palast. War unter ihnen vielleicht schon der neue Papst? Genau wurde beobachtet, mit wem Benedikt XVI. wie lange und mit welchem Gesichtsausdruck sprach bei der kurzen persönlichen Begegnung am Ende des Treffens. Scherer, Scola, Turkson oder vielleicht doch Schönborn? Sie waren alle da. Das Rennen ist eröffnet.

 

„Vergelt’s Gott“

Das war’s. Keine 24 Stunden bleiben Papst Benedikt XVI. mehr im Amt. Bei der Generalaudienz heute Morgen wirkte er gelöst. Dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen ist und er sich der Bedeutung des Schritts sehr bewusst sei, hat er noch einmal ausdrücklich betont. Aber Joseph Ratzinger scheint mit sich (und Gott) im Reinen zu sein. Ganz im Gegensatz zu manchen Kardinälen. Noch immer gibt es eine ganze Reihe kritischer Stimmen unter den Purpurträgern. Mehr oder weniger offen werden theologische, aber auch ganz praktische Bedenken vorgebracht. Der australische Kardinal George Pell etwa sieht in Benedikts Entscheidung einen „besorgniserregenden Präzedenzfall“. Er sieht die Gefahr, dass sich künftig Päpste verstärkt mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sehen könnten, wenn sie strittige Entscheidungen treffen oder es zu Krisen käme.

Allerdings beachtet Pell nicht, dass Benedikt XVI. nicht wegen irgendwelcher Krisen zurückgetreten ist, sondern aufgrund seines Alters. Wer heute die Generalaudienz aufmerksam mitverfolgte, musste erkennen, dass der scheidende Pontifex bereits bei der spanischen Ansprache – also nach rund einer Stunde Dauer der Veranstaltung – schon mit leiserer Stimme sprach. Joseph Ratzinger geht, weil ihm die Kräfte fehlen, das Amt so auszuüben, wie er es für notwendig hält. Das schließt nicht aus, dass die Hintergründe des Vatileaksskandals eine Rolle bei seiner Entscheidungsfindung gespielt haben. Benedikt hat eingesehen, dass es mehr Kraft braucht, im Vatikan Veränderungen herbeizuführen, als ihm mit nun fast 86 Jahren zur Verfügung stehen.

Pell übersieht übrigens auch, dass Benedikt XVI. ganz klar in seinem Interviewbuch mit Peter Seewald im November 2011 sagte, dass gerade in der Krise an einen Rücktritt nicht zu denken sei: „Zurücktreten kann man in einer friedlichen Minute, oder wenn man einfach nicht mehr kann. Aber man darf nicht in der Gefahr davonlaufen und sagen, es soll ein anderer machen.“ Künftige Papstkritiker können sich bei möglichen Rücktrittsforderungen also nicht auf Benedikt XVI. berufen.

Die Äußerungen Pells und anderer Bedenkenträger zeigen, dass die Kardinäle durchaus Gesprächsbedarf haben und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Eine überstürzte Papstwahl dient niemandem; höchsten denen, die am Status Quo nichts ändern möchten und Angst um ihre Pfründe haben. Es wäre zu wünschen, dass ab Montag in Rom ein ähnlicher Effekt eintritt, wie es ihn zu Beginn des II. Vatikanischen Konzils gegeben hat. Das 50-Jahr-Jubiläum wurde ja gerade vor wenigen Wochen im Oktober gefeiert. 1962 dachten die Kurienvertreter, sie könnten ihre Vorstellungen mit ihren vorbereiteten Papieren und Personallisten schnell durchsetzen und das von vielen Kurialen sowieso nicht sehr geliebte Konzil schnell über die Bühne bekommen. Aber schon in den ersten Sitzungen durchkreuzten selbstbewusste Diözesanbischöfe aus der ganzen Welt ihre Pläne, allen voran der Kölner Erzbischof Kardinal Joseph Frings. Der forderte eine offene Debatte über Themen und Personen. Die Vertreter der Weltkirche traten selbstbewusst auf und ermöglichten so eine offene und kontroverse Debatte. Bleibt zu hoffen, dass der Konzilsgeist kräftig weht, wenn die Kardinäle sich ab nächster Woche zu ihren Beratungen in Rom treffen.

XXL: Lange Nacht des Papstes

Heute Nacht gibt es im ZDF Papst-Programm satt: In einer „Langen Nacht des Papstes“ beleuchten wir das Pontifikat Benedikt XVI. Der Film „Mitarbeiter der Wahrheit“ blickt auf eine bewegte Zeit zurück.

Hier unser Programm für heute Nacht: http://www.zdf.de/Dokumentation/XXL-Lange-Nacht-des-Papstes-26780462.html – auf der Website kann man übrigens drei von vier Dokus jetzt schon online sehen.

Der letzte große Auftritt

Wir stehen auf dem Petersplatz auf der Pressetribüne. Hinter uns mehr als Hunderttausend Menschen, die den Papst noch einmal selbst erleben wollen bei seiner letzten großen Generalaudienz. Der römische Himmel ist strahlend blau, ein kleines Abschiedsgeschenk von Petrus an seinen Nachfolger. Als Benedikt XVI. den großen Giro, die große Rundfahrt über den Platz macht, jubelt die Menge ihm zu. Kleine Kinder werden ihm angereicht, damit er sie segnet und küsst – Fahnen werden geschwenkt und die Handykameras klicken. Die Anmutung ist eher freudig als traurig, aber nicht, weil die Menschen froh wären, dass der Papst zurückgetreten ist, sondern weil sie ihm noch einmal ihre Zuneigung zeigen wollen.

Wir alle sind gespannt darauf, was Benedikt XVI. in seiner letzten großen Ansprache sagen wird. Wird er eine gewöhnliche Katechese, also Auslegung der Schrift halten? Oder eine Grundsatzrede, ein kirchenpolitisches Vermächtnis hinterlassen? Es ist keines von beidem. Benedikt XVI. scheint erleichtert und befreit von einer großen Last. In seiner sehr persönlich gehaltenen Rede bedankt er sich dafür, dass er in all den Jahren getragen wurde von der Gemeinschaft in Gott, und der Gemeinschaft der Kirche. Er dankt seinen Mitarbeitern, und ausdrücklich dem Staatssekretariat für ihre Arbeit, er bedankt sich bei den Journalisten, dem Diplomatischen Corps und den Gläubigen. Seine Botschaft, die er den Menschen auf dem Platz und vor den Bildschirmen in aller Welt hinterlässt: Es macht Freude, ein Christ zu sein. Und dies trotz aller Probleme. Die Kirche, das sei keine Organisation, keine Vereinigung für religiöse oder humanitäre Zwecke, sondern ein lebendiger Körper, eine geistige Verbindung von Brüdern und Schwestern im Leib Jesu Christi, der alle vereint. Immer wieder spricht er von der Freude und der Liebe, der Kraft der Wahrheit, in einer Zeit, in der alle vom Niedergang der Kirche sprächen. Es ist eine Ermutigung, die Joseph Ratzinger den Katholiken mit auf den Weg geben will.

Ausführlich rechtfertigt er sich für die Entscheidung, zurückzutreten. Ein Papst gehöre allen und immer. Es gebe kein zurück für ihn in die Privatheit. Er kehre nicht zurück in ein privates Leben mit Reisen, Begegnungen, Konferenzen etc. Er verlasse das Kreuz nicht, sondern bleibe auf eine neue Art dem Gekreuzigten nahe. Dies ist eine Anspielung auf seinen Vorgänger Johannes Paul II.. der gesagt hatte auf Fragen nach einem möglichen Amtsverzicht, dass Jesus auch nicht vom Kreuz gestiegen sei. Und es ist eine deutliche Antwort auf jene, die Benedikt XVI. vorgehalten hatten, dass er mit seinem Rücktritt „das Kreuz verlasse“. Sein großes Vorbild Benedikt, nach dem er sich benannt hat, habe gezeigt, dass man sein Leben, ob aktiv oder passiv, ganz dem Werk Gottes weihen könne.

Als der Papst nach dem Segen ins Papamobil steigt und den Petersplatz verlässt, sind wir uns bewusst, eine historische Stunde erlebt zu haben. Morgen wird Benedikt XVI. nach Castel Gandolfo aufbrechen, wo er bis zur Fertigstellung der Räume im Kloster Mater Ecclesiae bleiben wird. Und am Freitag gehen die Einladungen an alle Kardinäle raus, um nach Rom zu den Generalversammlungen und zum Konklave zu kommen. Die Sedisvakanz beginnt.

Live-Übertragung der Generalaudienz

Das ZDF überträgt ab 10.15 Uhr die letzte Generalaudienz von Papst Benedikt XVI. live aus Rom. Zum letzten großen öffentlichen Auftritt des deutschen Pontifex werden nach Medienberichten 200.000 Pilger und Touristen erwartet. Aus Rom berichten Andreas Klinner und Michaela Pilters. Mit dabei sind auch der italienische Vatikanexperte und Journalist Marco Politi sowie Bernd Hagenkord SJ, Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.

Jetzt schon im Live-Video die Berichterstattung von phoenix. Ab 10:15 Uhr im ZDFspezial: „Bye, bye Benedikt XVI. – Abschied vom deutschen Papst“. Weitere Infos auf http://papst.zdf.de/

Papa emeritus

Endlich! Heute wurden die entscheidenden Fragen geklärt, über die seit Rosenmontag die ganze Welt rätselt: Wie heißt Benedikt XVI. ab 28. Februar 20 Uhr bzw. welchen Titel hat er? Und welche Kleidung wird er tragen? Heute Mittag, gut 55 Stunden vor Ende des Pontifikats lüftete Vatikansprecher Federico Lombardi das Geheimnis: Benedikt XVI. wird auch künftig mit „Seine Heiligkeit“ angesprochen werden. Er trägt den Titel „emeritierter Papst“ (Papa emerito) bzw. „emeritierter römischer Pontifex“ (Romano Pontefice emerito). Joseph Ratzinger wird auch künftig einen einfachen weißen Talar tragen. Die roten Schuhe kommen allerdings in den Schrank. Ratzinger bevorzugt braune. Die hat er vergangenes Jahr bei seinem Besuch im mexikanischen Leon geschenkt bekommen. Diese seien so bequem, dass er sich dafür entschieden habe, berichtete Lombardi schmunzelnd. Fischerring und Siegel werden wie vorgeschrieben vom Camerlengo, Kardinal Tarcisio Bertone, „unbrauchbar“ gemacht. Wann das geschehen wird, steht noch nicht fest. Sicher ist, dass Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht dann wieder seinen alten Kardinalsring tragen wird.

"Papa emeritus" ab 28.2.2013 um 20 Uhr - dann aber ganz in Weiß.

Ein besonderes Zeichen oder symbolhaften Akt zum Ende des Pontifikats wird es nicht geben. Lediglich die Päpstliche Schweizergarde wird am Donnerstag um 20 Uhr das Tor des Apostolischen Palasts in Castelgandolfo schließen und ihre Wachen abziehen. Denn die Schweizergarde ist zum Schutz des rechtmäßig gewählten und amtierenden Papstes da; und das ist Benedikt XVI. ja dann nicht mehr. Für seine Sicherheit garantiert dann die Vatikanische Gendarmerie. Benedikt XVI. verabschiedet sich kurz vor 17 Uhr im Damasushof im Vatikan von Kardinalstaatsekretär Tarcisio Bertone und den leitenden „Beamten“ des vatikanischen Staatssekretariats. Durch die vatikanischen Gärten geht es mit der Limousine zum Helioporto, wo Kardinaldekan Angelo Sodano wartet und Benedikt XVI. verabschiedet. Um 17 Uhr fliegt er dann mit dem Hubschrauber gen Castelgandolfo, wo er gut 15 Minuten auf dem Gelände der Päpstlichen Villen landen wird. Gegen 17.30 Uhr ist der wirklich allerletzte öffentliche Auftritt geplant. Vom Balkon des Apostolischen Palasts grüßt Benedikt XVI. die Bewohner des Dorfes. Danach zieht er sich zurück und ist ab 20 Uhr in Pension.

Am 1. März geht der Brief des Kardinaldekans Sodano an alle Kardinäle in der Welt, sich schnellst möglich nach Rom zu begeben für das Konklave und die vorbereitenden Generalkongregationen. Laut Vatikansprecher Lombardi dürfte die erste Kardinalsversammlung am 4. März stattfinden. Der Konklavetermin könnte bis zum 5. oder 6. März feststehen. Start der Papstwahl dürfte dann zwischen dem 11. und 15. März sein. Allerdings sind das nach wie vor alles Spekulationen; denn obwohl sich der Nebel so langsam lichtet, gilt im Vatikan noch immer: „Fahren auf Sicht“. Immerhin hat sich heute die Zahl der Konklaveteilnehmer (115) nicht verringert; während die Zahl der Papabile weiter steigt. Mittlerweile wurden mehr als 40 Namen genannt; also mehr als ein Drittel aller wahlberechtigten Kardinäle. Viele Kardinäle werden übrigens schon für Donnerstag in Rom erwartet. Dann gibt es am Vormittag das Abschieds-Treffen des Papstes mit den Purpurträgern. Allerdings wollen einige Kardinäle übers Wochenende noch einmal in ihre Heimat zurückfahren, weil dort längst geplante Termine anstehen.

Mit Spannung wird jetzt die morgige Generalaudienz erwartet – vor allem die Ansprache Benedikts XVI. bei seinem letzten großen öffentlichen Auftritt. 50.000 Eintrittskarten wurden verteilt. Medien sprachen in den letzten Tagen von 200.000 Teilnehmern, die erwartet werden. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und einige weitere Politiker aus der Slowakei, San Marino und Andorra sowie der Leiter der Gemeinschaft von Taizé Frere Alois haben nach der Audienz die Möglichkeit, sich noch einmal persönlich von Benedikt XVI. bei einer kurzen Begegnung in der Sala Clementina im Apostolischen Palast zu verabschieden. Alle anderen müssen sich per Brief an den scheidenden Pontifex wenden. Das scheinen auch sehr viele zu machen; nach Vatikanangaben kommt täglich bergeweise Post mit Dankschreiben an – von Staats- und Regierungschefs bis zu einfachen Gläubigen aus der ganzen Welt. Viel Lektüre für den Papst emeritus, der ab Donnerstagabend ja auch entsprechend Zeit dafür hat.

Seinem Nachfolger hinterlässt Benedikt XVI. eine recht brisante Lektüre. Der Untersuchungsbericht der dreiköpfigen Kardinalskommission, die nach Hintergründen und Hintermännern der Vatileaksaffäre ermittelt hat, soll dem neuen Papst übergeben werden. Er wird also weiter nicht veröffentlicht und die drei Kardinäle dürfen auch ihren Mitbrüdern im Vorkonklave nichts über den Inhalt berichten. Den neuen Papst erwartet damit gleich zu Amtsantritt eine Überraschung. Was Benedikt XVI. seinem Nachfolger sonst noch an Papieren hinterlässt, ist nicht bekannt. Es hat auf jeden Fall im päpstlichen Appartamento das fleißige Sortieren begonnen. Privates wird von Dienstlichem getrennt. Ersteres geht mit ins Kloster, wenn es dann in gut zwei Monaten fertig sein wird; das andere in die entsprechenden Archive.

Beginnt das Konklave früher?

Nun hat Benedikt XVI. entschieden. Das Konklave kann auch früher beginnen. Allerdings spricht er von „einigen Tagen“ in seinem heute veröffentlichen Motu Proprio. D.h. ein Konklavebeginn könnte um den 10./11. März stattfinden. Ein  früherer Termin, wie er in den vergangenen Tagen immer wieder genannt wurde, etwa der 3./4. März ist damit unwahrscheinlich. Zumal Vatikansprecher Federico Lombardi heute beim täglichen Briefing feststellte, dass die Kardinäle wohl nicht gleich in der ersten Sitzung der Kardinalskongregationen am 1. März den Konklavetermin festsetzen werden. Er rechnet für den 2. oder 3. März mit der mit Spannung erwarteten Entscheidung.
 
Eine Bedingung nennt der Papst übrigens noch: Es müssen zum vorgezogenen Termin alle wahlberechtigten Kardinäle in Rom sein. Einige Purpurträger wollen erst im Laufe der nächsten Woche anreisen; d.h. auch das spricht für den nur leicht vorgezogenen Termin. Die Wählerzahl hat sich unterdessen heute noch einmal um einen Kardinal auf jetzt 115 reduziert. Der schottische Kardinal Keith O’Brien will nicht am Konklave teilnehmen. Er ist heute zurückgetreten, nachdem in der vergangenen Woche Missbrauchsvorwürfe gegen ihn laut geworden sind. Da er Mitte März erst 75 Jahre alt wird, dürfte er trotz Rücktritt am Konklave teilnehmen. Nach eigenen Worten will er die Papstwahl aber nicht durch seine Anwesenheit belasten. Grundsätzlich kann niemand vom Konklave ausgeschlossen werden; es herrscht Anwesenheitspflicht. So wird das Kardinalskollegium entscheiden müssen, wie es mit O’Brien’s Wunsch umgeht, nicht nach Rom kommen zu wollen.
 
Es zeigt sich am heutigen Tag einmal mehr, dass sich die Schatten, die über dem Pontifikat Benedikts XVI. lagen, auch über das Konklave auszubreiten drohen. Dabei liegen die Ursprünge vieler Krisen oft weit vor der Regierungszeit des deutschen Pontifex.

Der letzte Angelus

Es ist ein Abschied auf Raten, der zunehmend emotional wird. Beim letzten Mittagesgebet mit mehreren zehntausend Menschen auf dem Petersplatz heute: Tränen bei den Menschen auf dem Platz; oben am Fenster Benedikt XVI., dem die Stimme versagt. „Im Gebet werden wir immer vereint sein!“ ruft er den Menschen nach dem Segen noch zu; dann verschwindet er in seinem Büro. Jetzt gibt es nur noch drei öffentliche Auftritte des deutschen Pontifex; dann wird sich Benedikt XVI. zurückziehen.

Abschied von Benedikt XVI. (dpa)

Die Tatsache, dass er sich künftig auf Gebet und Meditation konzentrieren werde, bedeute allerdings nicht, dass er sich von der Kirche zurückziehe, erklärte der scheidende Papst heute. „Ich möchte ihr weiterhin mit derselben Hingabe und Liebe wie bisher dienen, aber auf eine meinem Alter und meinen Kräften angemessenere Weise.“ Hören und sehen werden wir aber wohl von Benedikt XVI. nach dem 28. Februar nichts mehr. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, Mitherausgeber der Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers, erklärte vor wenigen Tagen, dass der Papst wohl zu Lebzeiten nichts mehr publizieren wird.

Ob der Rückzug wirklich so total sein wird, muss sich erst noch zeigen. Wäre es so, hätte das Ganze etwas unmenschliche Züge. Vor einigen Tagen zeigte sich bereits ein Kardinal besorgt darüber, ob er Joseph Ratzinger denn künftig noch besuchen könne. Wie das Leben eines emeritierten Bischofs von Rom konkret aussieht, muss sich noch zeigen. Das wird auch vom neuen Papst abhängen, wie er mit dieser Situation umgeht. Ob in naher Zukunft wieder ein Papst vorzeitig auf sein Amt verzichtet, wird auch davon abhängen, wie gut das aktuelle „Experiment“ gelingt.

P.S. Die drei letzten öffentlichen Auftritte sind: die Generalaudienz am Mittwoch, 27.2. (ab 10.15 Uhr live im ZDF), das Abschieds-Treffen mit den Kardinälen am 28.2. um 11 Uhr sowie der Abflug aus dem Vatikan in die Sommerresidenz Castelgandolfo am 28.2. ab 16.45 Uhr mit einem kurzen Gruß der Bewohner des Dorfes nach der Ankunft.