Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Ein Vorkonklave für die Bischofskonferenz

Es ist die letzte Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vor der Wahl eines neuen Vorsitzenden im März nächsten Jahres beim Frühjahrstreffen in Münster. Längst hat hinter den Kulissen natürlich die Kandidatensuche begonnen. Die will der amtierende Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, nun auch ganz offiziell machen –  nicht in der Öffentlichkeit, aber intern hat er eine Art Konsultationsprozess vorgeschlagen. Beim traditionellen Eröffnungsreferat heute Abend regte er an, die nächsten Monate dazu zu nutzen, über die Stärken und Schwächen der Bischofskonferenz zu sprechen, ähnlich wie beim Vorkonklave soll es eine „offene und kritische Analyse“ geben. Zollitsch möchte „Generalkongregationen ganz eigener Art“. „Je klarer wir uns über die gemeinsamen und mehrheitlich gewollten Ziele sind, desto besser können wir Fragen über die Struktur unseres Arbeitens, die Erwartungen an den neuen Vorsitzenden und die richtige Unterstützung durch die verschiedenen Dienststellen klären und angehen.“ Zollitsch will dafür die „verschiedenen Ebenen“, auf denen sich die Bischöfe bis zur Neuwahl im März treffen, nutzen.

Erzbischof Zollitsch sieht Gleichklang der Bischofskonferenz mit Papst Franziskus. Er wünscht sich eine dienende, barmherzige Kirche, nah bei den Menschen - wie der Papst.

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Papst an der Seite der Arbeiter

Während in Deutschland am Wochenende alle mit der Bundestagswahl beschäftigt waren, hat Papst Franziskus fast unbemerkt einige interessante Akzente gesetzt. Bei seinem eintägigen Besuch auf der Mittelmeerinsel Sardinien geißelte er mit seinen gewohnt scharfen Worten das aktuelle Weltwirtschaftssystem, machte zugleich aber deutlich, dass die Menschen nicht lamentieren sollten, sondern sich vielmehr engagiert für eine bessere Zukunft und eine gerechtere Welt einsetzen sollten. Am Tag zuvor hatte er wichtige Personalentscheidungen getroffen, die auch Deutschland betreffen: Erzbischof Müller wurde in seinem Amt als Chef der vatikanischen Glaubenskongregation bestätigt und es gibt einen neuen Nuntius in Deutschland: Erzbischof Eterovic.

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Der Papst im Interview

Gut 20 DinA4-Seiten füllt das Interview, das Papst Franziskus den Jesuitenzeitschriften gegeben hat. Für einen Papst, der nicht gerne Interviews gibt, durchaus sensationell. Auch der Inhalt ist bemerkenswert. Zwar ist eine ganze Reihe von Positionen bereits bekannt; doch lernt man auch viel Neues über den Papst persönlich und seine Vorstellungen von der Kirche in der Gegenwart. Fragen der Politik, Ökumene oder interreligiöser Dialog spielen kaum eine Rolle in dem Interview. Drei Mal traf sich der Chefredakteur der italienischen Jesuitenzeitung La Civiltà Cattolica, Antonio Spadaro, am 19., 23. und 29. August für jeweils mehrere Stunden mit Franziskus im vatikanischen Gästehaus Santa Marta.

Die Pressekonferenz auf dem Rückweg von Rio scheint Papst Franziskus Spaß gemacht zu haben. Jetzt gab er ein großes Interview für Jesuitenzeitschriften. (dpa)

Papst persönlich

Das Gespräch beginnt sehr persönlich. Auf die Frage, wer ist Jorge Mario Bergoglio antwortet der Papst: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition“. Um dann hinzuzufügen, dass er ein wenig gewieft sei, sich verstehe zu bewegen und auch ein wenig arglos sei. Dass er sich zu bewegen versteht, zeigen die ersten Monate im Pontifikat, in denen er bereits klare Akzente gesetzt hat und dem Papstamt einen ganz eigenen Stempel aufgedrückt hat. Ausführlich spricht Franziskus über seine Motivation, Jesuit zu werden. Drei Dinge hätten ihn beim Orden des hl. Ignatius berührt: der Sendungscharakter, die Gemeinschaft und die Disziplin. Wenn man Franziskus über die Jesuiten, ihre Spiritualität und ihr Denken reden hört und dann die letzten sechs Monate im Amt als Papst daneben hält, wird deutlich, wie das Jesuitische das Handeln des amtierenden Papstes prägt. „Der Jesuit muss immer ein Mensch von unabgeschlossenem, von offenem Denken sein.“

Im hinteren Teil des Interviews geht es noch einmal um persönliche, private Dinge des Papstes: Er liebt Dostojewski und Hölderlin; hat schon dreimal Manzonis „Die Brautleute“ (Promessi Sposi) gelesen und will sie in Kürze noch einmal lesen. Caravaggio und Chagall sind seine Lieblingsmaler. Mozart (v.a. das ‚Et incarnatus est“ aus der Messe in C-Moll) und Beethoven hört er gerne, auch die Passionen von Bach und schließlich Wagner. Fellini, Magnani und Fabrizi sind seine Favoriten beim Film – sprich der italienische Film liegt ihm am Herzen – hier schlägt seine italienische Herkunft, seine Großeltern wanderten aus der Nähe von Turin nach Argentinien aus, durch – und natürlich der dänische Streifen ‚Babettes Fest‘.

Entscheidungsfindung und Strukturen

Hier schlägt Franziskus sehr selbstkritische Töne an, für einen Papst meines Erachtens ungewöhnlich: Er habe sich als Jesuitenoberer in Argentinien nicht immer korrekt verhalten, habe notwendige Konsultationen nicht durchgeführt. „Mein Führungsstil als Jesuit hatte anfangs viele Mängel. […] Meine autoritäre Art, Entscheidungen zu treffen, hat mir ernste Probleme und die Beschuldigung eingebracht, ultrakonservativ zu sein. […] Ich bin nie einer von den ‚Rechten‘ gewesen. Es war meine autoritäre Art, Entscheidungen zu treffen, die Probleme verursachte.“ Doch er habe gelernt, so Franziskus. Konsultationen seien sehr wichtig. Konsistorien, also die Treffen von Kardinälen, sowie Synoden sind aus seiner Sicht wichtige Orte für solche Konsultationsprozesse. „Man sollte sie in der Form allerdings weniger starr gestalten. Ich wünsche mir wirklich keine formellen Konsultationen.“

Franziskus hält nicht viel von kurzfristigen Reformen und Veränderungen. Man brauche immer Zeit, „um die Grundlage für eine echte, wirksame Veränderung zu legen. […] Ich misstraue immer der ersten Entscheidung, das heißt, der ersten Sache, die zu tun mir in den Sinn kommt. Sie ist im Allgemeinen falsch. Ich muss warten, innerlich abwägen, mir die nötige Zeit nehmen.“ Alle, die eine schnelle Kurienreform erwarten, werden an dieser Stelle eines besseren belehrt.

Franziskus ist überzeugt, dass Synodalität auf verschiedenen Ebenen gelebt werden muss. Volk, Bischöfe und Papst müssten gemeinsam gehen. Von den „orthodoxen Brüdern“ könne man „noch mehr den Sinn der bischöflichen Kollegialität und die Tradition der Synodalität lernen“. Er möchte auch gerne die Reflexion mit den anderen christlichen Kirchen über den Primat des Petrus fortführen. An dieser Stelle, wenn es über Synodalität und Primat geht, kommt eine ökumenische Komponente in das Gespräch.

Was die römische Kurie anbetrifft betont Franziskus den Dienstcharakter der Behörden für den Papst, die Bischöfe und Ortskirchen. „In Einzelfällen, wenn man sie nicht richtig versteht, laufen sie Gefahr, Zensurstellen zu werden. […] Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.“

Kirche

In Anlehnung an die Konzilskonstitution „Lumen Gentium“ spricht er von der Kirche als „heiliges Volk Gottes“, das auf dem Weg durch die Geschichte ist. „Diese Kirche, mit der wir denken und fühlen sollen, ist das Haus aller – keine kleine Kapelle, die nur ein Grüppchen ausgewählter Personen aufnehmen kann.“ Er sieht die Kirche aktuell wie ein „Feldlazarett nach einer Schlacht“. Das, was die Kirche heute brauche, ist die Fähigkeit, „die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen.“ Die Diener der Kirche müssten dabei vor allem Diener barmherzig sein. „Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker.“ Dabei warnt Franziskus einmal mehr zugleich vor Rigorismus und Laxheit in der Pastoral.

Homosexualität

Papst Franziskus wiederholt, was er schon bei der Pressekonferenz auf dem Rückweg vom Weltjugendtag aus Rio de Janeiro gesagt hat: Die Religion dürfe die eigene Überzeugung zum Ausdruck bringen, so Franziskus; aber: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.“ Zugleich gibt der Papst zu bedenken, dass Kirche sich nicht nur mit der Frage um Abtreibung, homosexuellen Ehen und Verhütungsmethoden befassen könne. „Das geht nicht.“ Zumal man bei diesen Themen immer den jeweiligen Kontext beachten müsse. „Die Lehren der Kirche – dogmatische wie moralische – sind nicht alle gleichwertig.“ Eine missionarische Seelsorge sei nicht davon besessen, „ohne Unterschiede eine Menge von Lehren aufzudrängen. […] Wir müssen also ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wir ein Kartenhaus zusammen, droht seine Frische und den Geschmack des Evangeliums zu verlieren.“ Übrigens erinnerte mich diese Passage etwas an das TV-Interview von Papst Benedikt XVI. für ARD und ZDF vor dem Bayernbesuch im Spätsommer 2006. Damals hatte er auf die Frage, warum er beim Weltfamilientreffen kurz zuvor in Valencia nicht über Homo-Ehe, Abtreibung und Verhütung gesprochen habe, geantwortet, dass es zunächst darum gehe, das positive des christlichen Glaubens zu verkünden. Das Christentum sei nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Das sei ihm wichtig.

Frauen

Die Frau sei für die Kirche unabdingbar, so der Papst. „Ich fürchte mich aber vor einer ‚Männlichkeit im Rock‘, denn die Frauen haben eine andere Struktur als der Mann.“ Deshalb wiederholt er seine Forderung nach einer „gründlichen Theologie der Frau“. Die Herausforderung heute sei, darüber zu reflektieren „über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird“.

II. Vatikanisches Konzil

Sehr positiv spricht Franziskus über das II. Vatikanische Konzil, das „eine neue Lektüre des Evangeliums im Licht der zeitgenössischen Kultur“ gewesen sei. Die Liturgiereform etwa bezeichnet er als „Dienst am Volk“. Die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., den alten Ritus wieder zuzulassen, ist nach Franziskus „weise“ gewesen. Zugleich bezeichnet er allerdings das Risiko einer Ideologisierung oder Instrumentalisierung des Alten Ritus als „sehr gefährlich“. Er sieht beim Konzil sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität. „Aber eines ist klar: Die Dynamik der aktualisierten Lektüre des Evangeliums von heute, die dem Konzil eigen ist, ist absolut unumkehrbar.“

Gott

Franziskus ist überzeugt, „Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte“. Allerdings bleibe beim Suchen und Finden Gottes in allen Dingen immer eine Unsicherheit. „Wenn einer Antworten auf alle Fragen hat, dann ist das der Beweis dafür, dass Gott nicht mi ihm ist.“ Gott begegne man auf dem Weg. Franziskus erinnert in diesem Kontext an Abraham, den Urvater des Glaubens, der sei aufgebrochen, ohne genau zu wissen, wohin er gehen soll. „Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.“

Fazit

Es lohnt sich, das Interview zu lesen – klar. Es ist nicht leicht zu lesen; denn der Text ist gleichsam die Abschrift eines Gesprächs zwischen Pater Antonio Spadaro und Papst Franziskus. Nicht alle Gedanken sind bis ins Detail entfaltet; manchmal sind Sprünge an Stellen, an denen man sich weitere Präzisierung gewünscht hätte. Aber da bleibt ja dann der Raum für weitere Gespräche und Interviews mit dem Papst. Es kann aber meines Erachtens durchaus dazu beitragen, das Denken und Handeln von Papst Franziskus besser zu verstehen. Durch die gleichzeitige Veröffentlichung in 16 Zeitschriften und vielen Sprachen ist dem Papst wenige Tage nach seinem weltweiten Friedensgebet für Syrien, ein weiterer globaler Coup gelungen.

Der ideale Bischof

Wie soll er denn sein, der ideale Bischof? Darüber hat sich Papst Franziskus jetzt Gedanken gemacht. Anlass war ein Treffen von Bischöfen, die im vergangenen Jahr ernannt worden waren. Dieses Treffen „Papst-Nachwuchsepiskopat“ findet jedes Jahr statt am Ende eines mehrtägigen „Seminars“ unter Federführung der Bischofskongregation. Franziskus war das erste Mal dabei. Seine Rede darf durchaus als programmatische Rede in Bezug auf das Bischofsamt angesehen werden und bekommt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Amtsführung des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst noch einmal eine ganz besondere Brisanz. Für Franziskus sind drei Punkte zentral für einen Bischof: „mit Großmut aufnehmen, mit der Herde unterwegs sein und das Bleiben bei der Herde“.

Mit Großmut aufnehmen bedeutet demnach, offene Türen für alle Menschen zu haben. Das führt zu der Frage, ob sich ein Bischof dem Dialog mit einer bestimmten Gruppe versagen darf? In den vergangenen Jahren gab es immer wieder einmal Klagen von unterschiedlichsten Gruppen wie etwa „Wir sind Kirche“ auf der einen Seite, aber auch den Piusbrüdern auf der anderen Seite, dass Bischöfe sich einem Gespräch verweigerten!? Kann das sein?

Unterwegs-Sein mit der Herde sieht Franziskus in dreifacher Hinsicht: einmal in der besonderen Nähe des Bischofs zu seinen Priestern. Um sie müsse sich der Bischof kümmern; sie seien unverzichtbare Mitarbeiter, deren Rat und Hilfe der Bischofs suchen müsse. An dieser Stelle wurde Franziskus ganz konkret: Bischöfe müssten Priester empfangen, wenn sie um ein Gespräch bäten. Der Anruf eines Priesters dürfe vom Bischof nie unbeantwortet bleiben. Möglichst am selben, spätestens am nächsten Tag müsse der Bischof zurückrufen. Priester in Buenos Aires haben in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet, dass Franziskus als Erzbischof genau diesen engen Draht zu seinen Priestern pflegte.

Unterwegs-Sein mit der Herde bedeutet aber auch, dass der Bischof inmitten des Volkes sein muss. Auch für Bischöfe gilt, was Franziskus am Gründonnerstag über die Priester gesagt hat, die Hirten müssen den „Geruch der Herde“ annehmen. „Verschließt Euch nicht! Geht zu euren Gläubigen, auch an die Ränder eurer Bistümer und in alle ,Randgebiete der Existenz’, wo Leid, Einsamkeit und Erniedrigung der Menschen herrschen. Seelsorgliche Präsenz heißt, mit dem Volk Gottes unterwegs sein: vor ihm, um den Weg zu zeigen, mitten unter ihm, um seine Einheit zu stärken und hinter ihm, um sicher zu stellen, dass keiner auf der Strecke bleibt, aber vor allem, um seinem Gespür für neue Wege zu folgen.“ Ein Bischof, der inmitten seiner Gläubigen lebe, habe ein offenes Ohr für die „Stimme der Schafe“. Diese zeige sich auch über jene diözesanen Organismen, die die Aufgabe hätten, den Bischof zu beraten.

Schließlich zeigt sich das Unterwegs-sein mit der Herde am „Stil des Dienstes“. Er warnte vor Karrierismus, den er als Krebsgeschwür bezeichnete. Die Bischöfe seien gleichsam mit ihrer Ortskirche, ihrem Bistum verheiratet. Auf eine andere Diözese zu schielen, die schöner oder reicher sei, sei ein Skandal. Mit den gewohnten markanten Worten sprach Franziskus von „geistigem Ehebruch“. Zudem unterstrich er, dass Auftrag und Leben untrennbar miteinander verbunden seien. „Wir müssen uns jeden Tag fragen, ob Leben und Lehre übereinstimmen.“ Es sei vor allem das konkrete Zeugnis, mit dem die Bischöfe Lehrmeister und Erzieher seien.

Franziskus ermahnte die Bischöfe, verstärkt Präsenz in ihren Bistümern zu zeigen. Sie dürften diese nur verlassen, wenn das unbedingt notwendig sei. „Vermeidet den Skandal, ‚Flughafen-Bischöfen‘ zu sein“.

Barmherzigkeit, Demut, Bescheidenheit, Diskretion, die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen und mit einer Brise Humor, um auch über sich selbst ein wenig Lachen zu können. Das sind Eigenschaften eines Bischofs nach „franziskanischem“ Stil.

Die Suche beginnt.

Etwas überraschend kam sie dann doch, die Annahme des Amtsverzichts des Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch durch Papst Franziskus. Gemäß dem Kirchenrecht hatte Zollitsch zu seinem 75. Geburtstag am 9. August seinen Amtsverzicht angeboten. Bei Diözesanbischöfen wird er normalerweise auch recht zügig angenommen. Da Zollitschs Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz noch bis zur Frühjahrsvollversammlung im März 2014 dauert, war man davon ausgegangen, dass er so lange auch noch im Amt bleiben wird. Doch sicher war das nicht.

 

Noch bis März 2014 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: Erzbischof Robert Zollitsch (m).

Mit dem heutigen Akt ist nun Klarheit geschaffen. Zollitsch führt sein Vorsitzendenamt bei der DBK regulär zu Ende. Die Wahl des neuen Vorsitzenden erfolgt wie geplant bei der Frühjahrsvollversammlung  der Bischofskonferenz vom 10.-13. März 2014 in Münster. Einen klaren Favoriten für das Amt gibt es aktuell nicht. Viele sehen Reinhard Kardinal Marx als den geeignetsten Kandidaten, nicht zuletzt weil er als Mitglied der K8-Gruppe, die den Papst berät, einen direkten Draht zu Franziskus hat. Andere sehen die Ämterhäufung des Münchner Erzbischofs kritisch – er ist auch noch Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen in der EU (COMECE) und Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz – und wünschen sich eher einen Kandidaten aus der „zweiten Reihe“. Dann fallen Namen wie die des Berliner Kardinals Rainer Maria Woelki, des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick oder der Bischöfe Ackermann (Trier) und Overbeck (Essen). Nächste Wochen treffen sich die deutschen Bischöfe zu ihrer traditionellen Herbstvollversammlung in Fulda. Hier ist viel Zeit, um über Profil und Kandidaten für das Vorsitzendenamt zu sprechen – natürlich nur inoffiziell.

Im Erzbistum Freiburg bleibt Erzbischof Zollitsch mit der heutigen Entscheidung noch etwas Zeit, um angefangene Projekte abzuschließen. Dazu gehört etwa der Dialogprozess mit einer zweiten Diözesanversammlung, Pastorale Leitlinien müssen noch überarbeitet und eine Strukturreform abgeschlossen werden. Das Erzbistum Freiburg kann nun planen. Gerade noch rechtzeitig hatte Zollitsch vor wenigen Tagen noch das Domkapitel ergänzt und die Aufgabenverteilung neu geregelt. Erfahrungsgemäß dauert der Prozess rund ein Jahr. Ein Zeichen, dass die heutige Annahme des Amtsverzichts am Namenstag von Zollitsch (Robert Bellarmin) dann doch länger geplant war. Mit dem heutigen Tag beginnt das Prozedere für die Suche eines Nachfolgers. Am Ende wählt nach dem badischen Konkordat das Freiburger Domkapitel den neuen Erzbischof aus einer Liste von drei Kandidaten, die der Papst vorgibt. Einer der Kandidaten muss aus dem Erzbistum Freiburg stammen.

Hier wurde in den vergangenen Monaten ja schon heftig spekuliert, ob Erzbischof Georg Gänswein, der Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., eventuell die Nachfolge antreten könnte. Doch der hatte bei Zollitschs Geburtstagsfest solche Überlegungen zurückgewiesen. Einen „geborenen Kandidaten“ gibt es derzeit nicht. Anders als 2003 bei der Ernennung von Zollitsch zum Erzbischof. Da hatten eigentlich viele mit einem anderen Kandidaten gerechnet: Weihbischof Paul Wehrle war seinerzeit der Wunschkandidat vieler Gläubigen im Erzbistum Freiburg. Doch als das Domkapitel den Umschlag aus Rom öffnete, war dessen Name nicht auf der Dreierliste.

Doch Zollitsch erwarb sich schnell Ansehen und Respekt – auch über das eigene Bistum hinaus. 2008 wählten ihn die deutschen Bischöfe nach dem überraschenden Rücktritt von Karl Kardinal Lehmann zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Zollitsch führt die Konferenz in schwierigen Zeiten: 2009 die Diskussion um die Piusbruderschaft, 2010 der Missbrauchsskandal mit dem Beginn der Aufarbeitung von zu einem großen Teil Jahrzehnte zurückliegenden Missbrauchsfällen. Seine Idee war der Dialogprozess zwischen Bischöfen und Laien, um wieder neues Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Das dritte Dialogtreffen am vergangenen Wochenende in Stuttgart hat gezeigt, dass der Prozess auf einem guten Weg, aber längst noch nicht am Ziel ist. Mit der heutigen Entscheidung des Papstes ist klar, dass Zollitsch den Abschluss des Prozesses im Jahr 2015 nicht mehr im aktiven Dienst wird mitgestalten können. Das muss sein Nachfolger im Amt des DBK-Vorsitzenden machen.

Papst Franziskus trifft Priester des Bistums Rom. (reuters)

P.S. Papst Franziskus hat sich einmal mehr zum Thema wiederverheiratete Geschiedene geäußert. Beim Treffen mit Priestern des Bistums Rom sagte er gestern, dass er darüber nicht nur mit der K8-Gruppe Anfang Oktober sprechen möchte, sondern dass es auch Thema der nächsten Weltbischofssynode im Oktober 2015 sein werde. Er warnte allerdings davor, das Thema nur auf die Frage des Kommunionempfangs zu reduzieren. Wer das mache, verstehe nicht das „wahre Problem“. Es handle sich vielmehr um ein „schweres Problem der Verantwortung der Kirche gegenüber den Familien, die in diesen Situationen leben“. Franziskus sprach in diesem Kontext auch davon, dass die Kirche sich mit der Frage der „Nichtigkeit von Ehen“ intensiver auseinandersetzen müsse. Das Treffen mit den Priestern dauerte rund zwei Stunden. Dabei warnte der Papst auch vor zu „rigoristischen“ und zu „laxen“ Geistlichen.

Neuanfang in Limburg?

Es war klar, dass der „brüderliche Besuch“ des Kurienkardinals Giovanni Lajolo nicht ohne Folgen bleiben würde. Was der 78-jährige ehemalige Nuntius in Deutschland dann mit seinen Gesprächen in einer Woche erreicht hat, lässt auf einen Neuanfang hoffen. Der von Kritikern des Bischofs in den vergangenen Wochen mehr oder weniger offen geforderte Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst ist zunächst ausgeblieben. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Kardinal Lajolo zu dem Schluss gekommen ist, „dass die Spannungen latent schon über Jahrzehnte existieren und jetzt offen zutage treten“; so der Kurienkardinal in einem Interview der Katholischen Nachrichtenagentur.

 

Brüderlicher Besuch von Kardinal Lajolo (m) bei Bischof Tebartz-van Elst (r). (dpa)

Ähnlich äußerten sich übrigens mir gegenüber auch Laien aus dem Bistum Limburg bei Gesprächen am Rande des Dialogtreffens der Bischofskonferenz in Stuttgart. Sie waren überzeugt, dass mit einem Rücktritt des Bischofs die Probleme nicht gelöst seien. Vielmehr gehe es im Hintergrund um einen Richtungsstreit über den Kurs der Kirche im Bistum, an dem weit mehr Personen beteiligt seien. Zudem müsse die Kirche ein Zeichen setzen, dass sie Konflikte anders löse als etwa die Politik. Man könne nicht ständig von Vergebung und Neuanfang sprechen und dann das Gegenteil praktizieren.

Bischof Tebartz-van Elst machte gestern in aller Öffentlichkeit einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Neuanfang: „Wo ich Sie enttäuscht und verletzt habe, bitte ich um Verzeihung und Nachsicht.“ Bereits am Abend vorher hatte der Bischof in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Domkapitel seine Bereitschaft bekundet, „bei der Leitung der Diözese von den Beratungsorganen regelmäßigen und verlässlichen Gebrauch zu machen“. Priester aber auch Laien hatten in den vergangenen Jahren immer wieder einen autoritären und selbstherrlichen Führungsstil des Bischofs beklagt. Das soll nun anders werden. Damit soll bei einem der Problemkreise Abhilfe geschaffen werden.

Beim zweiten Problemkreis, den explodierenden Kosten bei den Baumaßnahmen auf dem Limburger Domberg, geht man ungewöhnliche Wege. Alle Kosten sollen umgehend festgestellt und durch eine Sonderkommission der Deutschen Bischofskonferenz geprüft werden. Der Abschlussbericht der Kommission soll veröffentlich werden. Es ist ungewöhnlich, dass ein Gremium der Bischofskonferenz derartige Kontrollarbeiten über Vorgänge in einem Bistum ausübt. Die schwierige Situation, in der man sich derzeit befindet, scheint aber auch Raum für kreative Lösungen zu schaffen. Nicht zuletzt war ja auch der „brüderliche Besuch“ von Kardinal Lajolo eine eher ungewöhnliche Maßnahme. Schon seit Wochen hatte Bischof Tebartz-van Elst ja Transparenz angekündigt. Mit der Kommission dürften den Worten jetzt auch Taten folgen.

Was es bedeutet, wenn bei der Prüfung durch die Kommission festgestellt wird, dass bei dem Bauprojekt und den damit verbundenen Finanztransaktionen gegen rechtliche, vor allem kirchenrechtliche Vorgaben verstoßen wurde, ist eine der derzeit Unbekannten in dem ganzen Prozess. Das gilt auch für die noch ausstehende Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hamburg, ob sie wegen des Verdachts auf eidesstattliche Falschaussage Anklage gegen Bischof Tebartz-van Elst erhebt oder nicht. Eine Entscheidung ist wohl vor Ende September nicht zu erwarten.

Mit dem Besuch von Kardinal Lajolo ist die Möglichkeit eines Neuanfangs im Bistum gegeben. Entscheidend wird aber noch einmal sein, zu welchen Ergebnissen die Prüfkommission der Bischofskonferenz und die Staatsanwaltschaft kommen werden. Für Bischof Tebartz-van Elst bedeutet das vergangene Wochenende eine neue Chance; auch wenn er weiter unter Beobachtung steht – wohl auch des Vatikans. Denn in der gemeinsamen Erklärung heißt es auch, dass Kardinal Lajolo den Papst „ausführlich informieren“ wird. Allerdings müssen auch die Kritiker zeigen, dass es ihnen ernst ist mit einem Neuanfang im Bistum.

P.S. Die Deutsche Bischofskonferenz hat heute überarbeitete Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch veröffentlicht. Mehr dazu in Kürze.

Wirklich Halbzeit?

Halbzeit war an diesem Wochenende beim Gesprächsprozess der Deutschen Bischofskonferenz. Der startete 2011 als Antwort auf den massiven Vertrauensverlust der katholischen Kirche im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal ein Jahr zuvor. 2015 soll er zum Ziel kommen. Halbzeit – doch der Weg ist noch lang, könnte die Bilanz des zweitägigen Treffens in Stuttgart lauten. Thema war in diesem Jahr die Liturgie. Was sich zunächst recht harmlos anhört, hat es bei näherem Hinsehen doch in sich. Denn schon in den ersten 30 Minuten lagen am Freitagmittag beinahe alle strittigen Themen auf dem Tisch: aktivere Beteiligung der Laien, gerade auch der Frauen, der Kommunionempfang für konfessionsverschiedene Paare bzw. wiederverheiratet Geschiedene, die Qualität der Gottesdienste, die Laienpredigt, der Streit um Wortgottesfeiern am Sonntag. Einzig der Zölibat war in der ersten Runde noch nicht dabei. Bis zum Freitagabend war dann aber auch dieses Thema ebenso auf dem Tisch wie auch die Frage nach den „viri probati“.

300 Teilnehmer kamen zum 3. Teil des Gesprächsprozesses nach Stuttgart.

Bischof Franz-Josef Bode brachte es bei der Abschlusspressekonferenz auf den Nenner: Liturgie ist zentral. Sie betrifft das Menschenbild, das Kirchenbild und das Gottesbild. Damit war auch klar, dass Freitagnachmittag und Samstagvormittag viel zu kurz waren, um intensiv am Hauptthema und seinen ganzen Implikationen zu arbeiten. Das verursachte denn auch durchaus Unbehagen bei vielen der rund 300 Teilnehmern. Sie hätten denn auch gerne mehr Zeit gehabt, um eine wirkliche Halbzeitbilanz des Gesprächsprozesses zu ziehen. Das wurde gestern Abend beim Abendessen versucht; doch die Zeit war knapp.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, fasst wohl sehr realistisch den aktuellen Stand zusammen: Der Prozess habe eine integrative Kraft entwickelt, weil keine Themen unterdrückt würden. Von der Initiative auf Bundesebene seien wichtige Impulse auf Bistumsebene ausgegangen. Neues Vertrauen sei gewachsen. Es gebe eine bessere Kommunikationskultur, keine Angstkultur mehr. Der Prozess habe gezeigt, dass zwischen Reformen und Vertiefung des Glaubens kein Gegensatz bestehe, wie das immer wieder von Gegnern des Prozesses vorgebracht worden sei und werde. Glück machte aber auch deutlich, dass die Gläubigen konkrete Ergebnisse und Veränderungen von dem Prozess erwarten. Er nannte das Beispiel wiederverheiratet Geschiedene.

Bei diesem Thema setzte auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, an. Mehrfach betonte er, dass die Bischöfe gerade an diesem Thema bereits arbeiteten sowohl was theologische als auch was arbeitsrechtliche Fragen anbetreffe. Hier ist der Konferenzvorsitzende zuversichtlich, dass es zu Fortschritten gegenüber den bisherigen Regelungen kommen wird. Wie diese allerdings aussehen könnten, blieb offen. Zollitsch verwies auch darauf, dass ein solcher Prozess Zeit brauche, um möglichst viele mitzunehmen. Auch zwei Jahre nach dem Start ist das Projekt ja selbst innerhalb der Bischofskonferenz nicht unumstritten. In Stuttgart waren 35 der knapp 70 deutschen Bischöfe anwesend.

2x90 Minuten waren Zeit für das Gespräch in Kleingruppen.

In Stuttgart war zu spüren, dass viele Laien die Angst haben, dass der Prozess zu keinen konkreten Ergebnissen und sichtbaren Veränderungen führt. Es wurde auch deutlich, dass die Bischöfe bemüht sind, die Sorgen wahr und ernst zu nehmen, dass auch ihnen klar ist, dass sich etwas bewegen muss. Hier zeigte sich beim Thema Liturgie, dass es sicherlich eine ganze Reihe von Aufgaben gibt, die durchaus auf diözesaner oder nationaler Ebene zu lösen sind. Die Frage nach der Qualität der Liturgien wurde oft gestellt in diesen Tagen. Wie steht es um Aus- und Fortbildung in diesem Bereich? Wie steht es um die Vielfalt der Dienste und der liturgischen Formen? Kontrovers wurde etwa die Frage nach Wortgottesfeiern an Sonntagen diskutiert. Interessant ist in diesem Kontext, dass der DBK-Vorsitzende Zollitsch gegenüber der Presse am Beginn der Veranstaltung sagte, dass man die Wortgottesfeier am Sonntag auch brauche. Interessant und klar die Aussage des Essener Bischofs Overbeck: „Die Kommunionbank ist weder ein Richtstuhl noch ist sie die Disputierbank für Dogmatiker. Denn die Gemeinschaft mit Gott schenkt er jedem Mensch selber“, der sich der Osnabrücker Bischof Bode auch ausdrücklich anschloss. Beide sind Mitglied der Steuerungsgruppe des Gesprächsprozesses. Overbeck kritisierte einen neu aufkommenden Rubrizismus, d.h. das überbordene Festhalten an liturgischen Vorschriften ebenso, wie die „Häresie der Formlosigkeit“ bzw. die „Häresie der Inhaltslosigkeit“ der Liturgien und erntete großen Applaus. Stuttgart hat einmal mehr deutlich gemacht, dass es bei den notwendigen Reformen eine Reihe Dinge gibt, die auf römischer Ebene gelöst werden müssen wie der Zölibat, dass es daneben aber viele Punkte gibt, die man auf nationaler Ebene lösen kann bzw. sogar auf lokaler Ebene. Letzteres vor allem was die Qualität der Gottesdienste anbetrifft, die Frage nach der Nähe zur Lebenswelt der Menschen. Immer wieder wurde aber auch gefordert, einheitliche Regelungen auf nationaler Ebene finden, um nicht von der Willkür einzelner Pfarrer abhängig zu sein. Dies gilt etwa für die Frage nach Wortgottesfeiern an Sonntagen.

P.S. Am Rande der Konferenz wurden zwei Papiere des Katholisch-Theologischen Fakultätentags veröffentlicht. Zum einen geht es um die Segnungsfeiern bei einer erneuten Eheschließung; zum anderen um  „Sexualmoral und neue Beziehungsformen“. Vor allem letzteres Papier dürfte noch für einige Diskussion sorgen. Denn die Theologieprofessoren formulieren ihre Beziehungsethik so offen, dass darunter durchaus auch gleichgeschlechtliche Paare fallen könnten. Dies führte bereits in Stuttgart zu ersten heftigen Reaktionen von einzelnen Bischöfen.

 

Erst am Anfang

Ein halbes Jahr ist er nun im Amt, Papst Franziskus. Und er hat doch schon Einiges durcheinander gewirbelt. So überraschend wie seine Wahl am 13. März für Viele erfolgte, so überraschend verliefen auch die ersten sechs Monate. Jorge Mario Bergoglio kam von außen. Das wollten viele Kardinäle nach den Skandalen der letzten Jahre und dem zunehmenden Zentralismus in der katholischen Kirche. Doch obwohl er von außen kam, hat er von Anfang an sehr selbstbewusst sein Amt ausgeführt. Mit der Weigerung in die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast zu ziehen und stattdessen im vatikanischen Gästehaus Santa Marta zu bleiben, setzte er gleich das erste Zeichen. Er setzte Kommissionen ein, wirbelt beständig das vatikanische Protokoll durcheinander und sucht den Kontakt zu den Menschen. Seine Worte sind klar und fordernd. Etwa bei seinem Besuch einer Flüchtlingshilfeeinrichtung in Rom am Dienstag dieser Woche, als er die Ordensgemeinschaften aufforderte, leerstehende Konvente nicht in Hotels zu verwandeln, sondern dort Flüchtlinge aufzunehmen. Auch in Deutschland sind einige Bistümer bereits dabei, ihre Immobilien daraufhin zu prüfen, ob man Flüchtlinge etwa aus Syrien aufnehmen könnte.

Überhaupt war dieser Dienstag, oder sagen wir besser diese „Halbjahres-Woche“ des Pontifikats, symptomatisch für Franziskus. Am Dienstagmorgen trifft er die Kurienchefs, um mit ihnen über die anstehende Kurienreform zu sprechen. Drei Stunden dauerte das Treffen, ungewöhnlich lang. Am Nachmittag besucht Franziskus dann die Flüchtlinge. Das erinnert an seine erste Reise. Die führte ihn auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa . Gleich zweimal sprach Franziskus dann in dieser Woche auch sehr selbstkritisch über die Kirche. Bei der Generalaudienz am Mittwoch sagte er, dass auch die Kirche „Fehler“ habe. In einem offenen Brief an einen Journalisten in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ schrieb er: „So langsam, untreu und voller Irrtümer und Sünden die Menschen, die die Kirche bilden, auch waren und noch sind, die Kirche hat doch kein anderes Ziel als das, Jesus zu leben und zu bezeugen.“

Franziskus scheint einen sehr realistischen Blick auf die Kirche zu haben. Ein halbes Jahr ist zu kurz, um den Tanker Kirche auf einen neuen Kurs zu bringen. Doch erste Ansätze sind da. Langsam beginnt Franziskus auch seine Führungsmannschaft zu formieren. Mit der Wahl des neuen Kardinalstaatssekretärs hat er eine von vielen Seiten sehr gelobte Wahl getroffen. Erzbischof Parolin hat dann auch diese Woche gleich einen Akzent gesetzt, indem er gegenüber einer venezolanischen Zeitung erklärte, dass der Zölibat „kein Dogma der Kirche“ sei und man darüber diskutieren könne. Bleibt zu hoffen, dass es ihm nicht so ergeht wie im Jahr 2006 Kardinal Hummes. Der ehemalige Erzbischof von Sao Paolo war gerade zum neuen Präfekten der Kleruskongregation ernannt und äußerte sich kurz vor seiner Abreise nach Rom bezüglich des Zölibats wie jetzt Parolin. Kaum in Rom angekommen, hatte der Vatikan klargestellt, dass es in der Frage keine Diskussion geben werde. Hummes wirkte in seinen Jahren im Vatikan stets isoliert. Heute gehört er zu den engsten Vertrauten des amtierenden Papstes. Er war es, der den eben gewählten Kardinal Bergoglio im Konklave umarmte und sagte: „Vergiss die Armen nicht.“ Woraufhin Bergoglio den Papstnamen Franziskus wählte. (Hummes ist Franziskaner.)

P.S. Übrigens hat das Treffen zwischen Papst Franziskus und dem Vater der Befreiungstheologie, Gustavo Gutiérrez, am Mittwochmorgen im kleinen Kreis stattgefunden. Gutierrez und Erzbischof Gerhard-Ludwig Müller, der Chef der Glaubenskongregation, feierten in Santa Marta den Morgengottesdienst zusammen mit dem Papst. Danach gab es eine kurze Begegnung. Interessant ist, dass davon bisher vom Vatikan nichts offiziell verlautete. Am Mittwoch gab es zwar auch ein Interview mit Gutiérrez in der Vatikanzeitung L‘Osservatore Romano. Aber von der Begegnung wurde nichts offiziell mitgeteilt.

Es wird diskutiert in Stuttgart.

P.P.S. In Stuttgart hat heute das dritte Dialogtreffen im Rahmen des Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz begonnen. Es ist interessant, wie oft hier Papst Franziskus erwähnt oder zitiert wurde – und zwar von Bischöfen und Laien. Soviel Papst war selten auf einer derartigen Veranstaltung in den letzten Jahren. Im Mittelpunkt des Treffens steht die Liturgie. Ausführliches gibt es morgen im Blog. Bei einer Zwischenbilanz des bisherigen Gesprächsprozesses am Abend wurde deutlich, das Thema wiederverheiratete Geschiedene ist DAS zentrale Thema, das die Gläubigen beschäftigt. Hier sehen sie Handlungsbedarf und rechnen sich große Chancen aus, dass sich etwas ändert. Der Chef des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück bat die Bischöfe eindringlich, bei dieser Frage zu einer guten Lösung zu kommen, da sonst der Frust sehr groß sein werde unter den Gläubigen. Am Nachmittag war schon von Bischöfen im Kontext dieses Themas zu hören, dass die Kommunionbank keine „Richterbank“ oder „Gerichtsbank“ sein dürfe.

P.P.P.S. „Papst Franziskus ist ein großer Wegbereiter einer angstfreien Kommunikation in der Kirche.“ Diese Aussage des ZdK-Präsidenten Glück passt vielleicht ganz gut ans Ende einer kurzen Halbjahresbilanz des Pontifikats.

Sensation oder Normalität?

Das waren heute Bilder in Mantua, die man sich vor kurzer Zeit nur schwer vorstellen konnte. Der Chef der vatikanischen Glaubenskongregation trifft einen der prominentesten Vertreter der Befreiungstheologie. Und es soll noch besser kommen. Im Verlauf der Woche wird Papst Franziskus sich mit dem Befreiungstheologen treffen. Das kündigte der Chef der Glaubenskongregation bei der Begegnung heute an.

Erzbischof Müller und Gustavo Gutiérrez in Mantua.

Gut – die beiden Personen, die sich in Mantua getroffen haben, sind Freunde seit fast zwei Jahrzehnten. Der heutige Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, und der „Vater“ der Befreiungstheologie Gustavo Gutiérrez lernten sich 1988 in Peru kennen. 2004 veröffentlichten sie gemeinsam ein Buch mit dem Titel „An der Seite der Armen. Theologie der Befreiung“, das damals auf Deutsch und Spanisch erschien. Die Präsentation der italienischen Ausgabe im Rahmen des „Festivalettura“ von Mantua war Anlass des ersten öffentlichen Auftritts der beiden seit der Ernennung Gerhard Ludwig Müllers zum Chef der Glaubenskongregation im vergangenen Jahr. Italienische Zeitungen sprachen in dieser Woche gar von einem „Friedensschluss“ zwischen Vatikan und Befreiungstheologie.

Gutiérrez und Müller fanden das beide etwas übertrieben. Müller merkte im Gespräch mit dem ZDF an, dass ja nur bestimmte Formen der Befreiungstheologie vom Vatikan seinerzeit in den 1990er Jahren verurteilt worden seien. Gutiérrez befand, dass die Versöhnung doch schon vor Jahren stattgefunden habe. Auffallend ist es aber schon, dass die Zeichen auf Entspannung stehen. Selbst die Vatikanzeitung L’Osservatore Romano stellte Anfang der Woche das Buch der beiden vor und veröffentlichte einen Artikel von Gutiérrez. Dafür, dass man sich in Gegenwart mancher Kirchenhierarchen nach wie vor kaum traut, das Wort Befreiungstheologie mit einer positiven Konnotation zu erwähnen, scheinen die aktuellen Ereignisse doch anmerkenswert.

Nun gilt der im Juni 85 Jahr alt gewordene Gutiérrez zwar als einer der „Väter“ der Befreiungstheologie; doch scheint er aus vatikanischer Sicht nie über die Stränge geschlagen zu haben, wie man das etwa bei den Brüdern Boff glaubte feststellen zu müssen. Zwar prüfte die Glaubenskongregation in den 1990er Jahren sein Werk intensiv; doch kam es nie offiziell zu Maßnahmen gegen ihn. In seinem Interviewbuch „Salz der Erde“ sagt der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, der zum Teil persönlich mit Gutiérrez im Dialog stand, dass dieser sein Werk „weiterentwickelt“ habe auf eine „sachgerechte und integrationsfähige Form von ‚Befreiungstheologie‘“. Der amtierende Präfekt sieht nach eigenen Worten in der Befreiungstheologie eine der „bedeutsamsten Strömungen der katholischen Theologie im 20. Jahrhundert“.

Mit dem ersten Papst aus Lateinamerika wird das Thema Befreiungstheologie wieder aktuell. Armut, Unterdrückung und Ungerechtigkeit rücken wieder stärker ins Bewusstsein, und auch die Aufgabe der Kirche, sich in diesem politischen Bereich zu engagieren.

P.S. Erzbischof Müller erklärte übrigens bei der Begegnung in Mantua, dass aus Sicht der Glaubenskongregation nichts gegen eine Seligsprechung von Erzbischof Oscar Romero spreche. Er habe zusammen mit dem Sekretär der Kongregation, Erzbischof Ladaria, die Predigten Romeros durchgesehen, ein sechs-bändiges Werk. Dabei hätten sich keine Einwände ergeben. Der Ball liege nun wieder bei der Heiligsprechungskongregation. Die Durchsicht der Texte habe schon unter Benedikt XVI. begonnen.

P.P.S. Papst Franziskus hat sich auch heute wieder dem Thema Krieg und Frieden gewidmet. Beim Mittagsgebet kritisierte er scharf den Waffenhandel. „Es muss darum gehen der Gewalt abzusagen in allen ihren Formen. Nein zu sagen der Verbreitung von Waffen und ihrem illegalen Handel. Davon gibt es viele. Es bleibt immer im Zweifel, ob dieser oder jener Krieg – denn es gibt sie überall – wirklich ein Krieg aufgrund von Problemen ist, oder ob es ein Wirtschaftskrieg ist, um diese Waffen im illegalen Handel zu verkaufen. Das sind die Feinde, die zu bekämpfen sind, vereint und konsequent. Es geht darum nicht anderen Interessen zu folgen als dem Frieden und dem Gemeinwohl.“

P.P.P.S. Am Dienstag trifft sich Papst Franziskus übrigens mit den Chefs der Kurienbehörden, um eine Halbjahresbilanz seines Pontifikats zu ziehen.