Köln: Roma locuta, causa aperta

Kardinal Rainer Maria Woelki bleibt im Amt, nimmt eine Auszeit und das Erzbistum Köln soll in einen „geistlichen Prozess der Versöhnung und Erneuerung“ eintreten. Das geht aus einer Erklärung des Vatikans hervor, die heute veröffentlicht wurde. Dass das gelingt, daran hat offenbar selbst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, seine Zweifel. „Ob dies innerhalb weniger Monate zu einer grundlegend veränderten Situation führen kann, vermag ich nicht zu beurteilen“, schreibt Bätzing in seiner Reaktion auf die Entscheidung des Vatikans. Klar ist aber nun erst einmal, dass der Kardinal im Amt bleibt und der Papst möchte, dass beide Seiten sich zusammenraufen.

Kardinal Woelki auf dem Weg zum Pressestatement heute Mittag. (Quelle: dpa)

Lob und Tadel

Einen Kardinal schickt man nicht so schnell in die Wüste. Vor allem dann nicht, wenn ihm in dem Bereich, auf den sich massive Kritik bezieht, aus vatikanischer Sicht keine Versäumnisse vorzuwerfen sind. Rom kommt nach Auswertung des Berichts der Visitatoren zu dem Schluss, dass es keine Hinweise gebe, „dass er im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs rechtswidrig gehandelt hat“. Auch könne man das Zurückhalten der ersten Studie nicht als Vertuschung bezeichnen. Umgekehrt wird Woelki Entschlossenheit darin attestiert, „die Verbrechen des Missbrauchs in der Kirche aufzuarbeiten, sich den Betroffenen zuzuwenden und Prävention zu fördern“.

Allerdings habe er „auch große Fehler“ gemacht „in der Herangehensweise an die Frage der Aufarbeitung insgesamt, vor allem auf der Ebene der Kommunikation“. Dies habe wesentlich zur Vertrauenskrise beigetragen, die viele Gläubige verstöre. Dass nicht eigens die Betroffenen erwähnt werden, die unter den Fehlern Woelkis litten, lässt einmal mehr Zweifel aufkommen, inwieweit die Betroffenen sexualisierter Gewalt bei den Kirchenoberen in der Nuntiatur und im Vatikan wirklich im Blick sind. Anders zeigte sich da Kardinal Woelki heute bei seinem kurzen Statement nach der Veröffentlichung der Vatikanentscheidung. Neben dem Eingeständnis, dass er „natürlich“ Fehler bei der Aufarbeitung gemacht habe, drückte er sein Bedauern darüber aus, dass Betroffene durch sein Vorgehen retraumatisiert wurden und es zu einer Vertrauenskrise im Erzbistum gekommen ist.

Wie Vertrauen zurückgewinnen?

Die Vertrauenskrise sieht auch der Papst und daher stellt die Erklärung fest, dass Erzbischof und Erzbistum „offenkundig“ eine „Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung“ brauchen. Deshalb gewährt er dem Kardinal eine Auszeit. Sowohl Vatikan als auch Woelki selbst betonen, dass das die Idee des Erzbischofs war. Vor die Auszeit hat Rom in seiner Erklärung noch ein Lob für den Kardinal gestellt. „Der Heilige Vater zählt auf Kardinal Woelki, er anerkennt seine Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche“, heißt es da.

Der Satz lässt sich unterschiedlich deuten. Zum einen beschreibt er letzten Endes lediglich die Aufgabe eines jeden Bischofs, der Teil des weltweiten Bischofskollegiums ist unter der Leitung des Papstes. Zum anderen könnte darin eine Spitze stecken vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten rund um den Synodalen Weg. Hier wird der Mehrheit der deutschen Bischöfe bisweilen vorgeworfen, sie setzten die Einheit der Kirche aufs Spiel. Zum Dritten könnte es aber auch eine Aufforderung an Woelki sein im Sinne: „Der Papst zählt auf dich, also beweg dich und bring die Sache in Ordnung!“. Denn unmittelbar danach kommt die Passage mit der notwendigen Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung für Erzbistum und Erzbischof.

Vorsitzender der Bischofskonferenz reagiert zurückhaltend

Die Entscheidung zu Woelki, aber auch zu den beiden Weihbischöfen Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp, deren Rücktritte Franziskus wie schon im Falle des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße nicht angenommen hat, wird für viel Kritik und Irritationen sorgen. Obwohl das offenkundig ist, findet dies in der Vatikanerklärung keinerlei Berücksichtigung. Es wird auch nicht um Verständnis für die Entscheidung geworben. Das zeugt nicht gerade von Sensibilität für die schwierige Situation der katholischen Kirche in Deutschland, an der die Vorgänge im Erzbistum Köln auch ihren Anteil haben. Vielleicht ist so auch die zurückhaltende Reaktion des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zu erklären. Er nehme „die Entscheidung des Heiligen Vaters entgegen“, schreibt Bischof Georg Bätzing und äußert Zweifel, dass sich innerhalb weniger Monate die Situation im Erzbistum Köln grundlegend verändern kann. Er erinnert an den Fall seines Vorgängers im Amt des Bischofs von Limburg, Tebartz-van Elst.

Offen lässt Bätzing dabei, ob er sich damit auf den schwierigen Prozess der Versöhnung bezieht, wenn es zu einem massiven Vertrauensverlust zwischen Gläubigen und großen Teilen des Klerus einerseits und Bistumsleitung andererseits gekommen ist. Oder ob er damit meint, dass Tebartz-van Elst nach der Auszeit am Ende doch zurückgetreten ist. Auch diese Option ist im Falle Woelkis durch die heutige Entscheidung noch nicht ganz ausgeschlossen. Wenn die Versöhnung und Erneuerung nach der Auszeit Woelkis nicht gelingt, muss der Papst erneut entscheiden. Der Konferenzvorsitzende wird in seinem Statement deutlich und fordert auch von Woelki „Gesprächs- und Mediationsangebote, um Chancen und Perspektiven zu finden“. Bätzing sagt offen, „die Entscheidungen aus Rom werden sehr kontrovers diskutiert werden“ und erklärt, dass es einerseits zutreffe, was in der Vatikanerklärung zum Aufklärungswillen Woelkis gesagt werde, dass andererseits „angesichts der entstandenen Lage viele Betroffene ratlos und verletzt“ zurückblieben.

Die Erklärung des Bischofskonferenzvorsitzenden ist ungewöhnlich. Kühl nimmt er die Entscheidung des Papstes zur Kenntnis. Deutlich seine Zweifel, dass das vorgeschlagene Vorgehen gelingen kann, und seine Kritik an Kardinal Woelki. Bätzing betont eigens, dass er heute Morgen vom Nuntius informiert worden sei. Kardinal Woelki hatte das Prozedere vergangene Woche mit dem Papst und den Kurienstellen in Rom vereinbart. Vier Tage lang war er diese Woche mit seinen Mitbrüdern bei der Herbstvollversammlung in Fulda zusammen. Nicht einmal im Vertrauen informiert er den Konferenzvorsitzenden darüber, was heute bekanntgegeben wurde. Das zeigt, auch innerhalb der Bischofskonferenz scheint es eine massive Vertrauenskrise zu geben.

Rom hat gesprochen. Nun müssen die Bischöfe und Gläubigen in Deutschland nach einer Lösung suchen, allen voran im Erzbistum Köln. Abgeschlossen ist die Causa aber noch lange nicht. Spätestens nach Ende der Auszeit von Kardinal Woelki kommt sie auf Wiedervorlage.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

8 Kommentare

  • Wanda
    24.09.2021, 19:21 Uhr.

    Kein Zweifel mehr: Franziskus steht leider in einer Reihenfolge mit den Vorgängern Ratzinger und Woityla. Nun werden wohl viele Gläubige die in ihn gesetzten Hoffnungen begraben müssen. Zum Glück sind Glaube und Amtskirche zwei verschiedene Dinge. Vielleicht kehrt man zurück zu den kleinen Gemeinden ohne jede angemasste Hierarchie wie die Ur-Christen ? Wäre ehrlicher und und auf jeden Fall im Sinne des Nazareners, der seinen Jüngern unmissverständlich auftrug: „Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater (Pater/Papst/Papa etc.) nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen, denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“ (Matt/23-9) Klarer geht’s wirklich nicht…

  • Erasmus
    24.09.2021, 20:28 Uhr.

    PROFESSIONELLES KRISENMANAGEMENT DES VATIKAN
    Im Fall Woelki kommt einiges zusammen. Zum einen höchst fragwürdiges Verhalten in mindestens zwei konkreten Missbrauchsfällen, dann die Tatsache, dass er als Geheimsekretär (7Jahre) und als Weihbischof (8 Jahre) Teil des System Meisner war, dem das Gehrke-Gutachten 24 Pflichtverletzungen vorwirft. Darüber hinaus hat der Kardinal nicht nur die Gefolgschaft der meisten Gläubigen, sondern auch eines großen Teils der Priester des Bistums verloren.
    Indem der Vatikan moralische und institutionelle VERANTWORTUNGSÜBERNAHME ausklammert, bleibt nur die kirchenrechtliche Perspektive. In dieser Hinsicht bleibt Woelki unbelastet, da Mitwisserschaft kein Rechtsverstoß ist.
    Bleibt die VERTRAUENSKRISE im Erzbistum Köln. Mit der gut fünfmonatigen Auszeit schlägt der Vatikan zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen gibt es in dieser Zeit keine Gemeindebesuche des Erzbischofs, bei denen ihm rote Karten gezeigt werden könnten, und zum anderen endet im Februar 2022 der Synodale Weg, wo Woelki ja als Speerspitze des Konservatismus agiert. Dieser Konfliktpunkt ist also bis Aschermittwoch abgeräumt.
    Sollte sich der vom Vatikan gewünschte Weg der VERSÖHNUNG als nicht gangbar erweisen, entsteht mit der aktuellen Entscheidung ein gewisser Spielraum. Ein möglicher Wechsel in die Kurie wäre dann keine Zwangsversetzung, sondern ein organischer Karriereschritt eines amtierenden Erzbischofs und könnte zu einem passenden Zeitpunkt stattfinden.
    Der kritische Beobachter wird allerdings reklamieren, dass es doch ganz offensichtlich VERTUSCHUNG gab, und fragt sich, warum trotz dokumentierter Pflichtverletzungen von Heße, Schwaderlapp und Puff keine Konsequenzen erfolgen. Die Antwort liefert die Vertuschungsdefinition des Heiligen Stuhls. Franziskus dekretierte im Jahr 2019: Vertuschungen sind „Handlungen oder Unterlassungen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker (…) zu beeinflussen oder zu umgehen.“ Wenn Vertuschung nichts anderes als Strafvereitelung ist, dann hat es in der Katholischen Kirche so gut wie keine Vertuschung gegeben.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      25.09.2021, 11:04 Uhr.

      Die bisher letzte geplante Versammlung des Synodalen Wegs findet Anfang September 2022 statt. Da wäre Kardinal Woelki dann wieder dabei.

    • Wanda
      25.09.2021, 18:26 Uhr.

      Erasmus 24.09. 20:28:
      – Trefflich analisiert: ein Paradebeispiel abstossender advokatischer Trickserei, die das Kirchenrecht zwar zulässt, aber eines sich ethisch und religiös überlegen fühlenden Gebildes wie es die röm.-kath. Kirche darstellt, nicht würdig ist. Recht kann und wird sehr häufig gebeugt: da ist der Vatikan genau so anfällig wie die weltlichen Systeme. Eigentlich sollte die Kirche an sich selbst einen höheren Anspruch stellen. Nur ist sie eben doch von dieser Welt und Franziskus wird als versagender ehemaliger Hoffungsträger in die Kirchengeschichte eingehen…

  • Novalis
    24.09.2021, 21:41 Uhr.

    Barmherzigkeit gilt eben auch für jemanden, der Vertrauen verloren hat. Sonst hätte der Auferstandene wohl kaum Petrus gesagt: „Weide meine Schafe“. Im Gegensatz zur Kälte seiner Vorgänger zeigt sich der Papst als außerordentlich barmherzig. Dass er damit richtig in der Sache liegt, zeigt die massiv ablehnende Reaktion. Barmherzigkeit lässt sich eben nicht erzwingen. Der Papst nimmt also Maß am himmlischen Vater.
    Herr Erbacher, „Der Heilige Vater zählt auf Kardinal Woelki, er anerkennt seine Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche“ das kann noch etwas heißen: Es kann eine performative Aufforderung sein: Torpediere Deine Mitbrüder nicht. Sonst strafst Du die Worte des Papstes Lügen.

    • YaLob
      25.09.2021, 21:34 Uhr.

      Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn NOVALIS Erwartung bestätigt wird.

    • Erasmus
      26.09.2021, 10:42 Uhr.

      „… er anerkennt seine Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche“
      Die für mich plausibelste Lesart ist die, dass Woelki voll hinter dem derzeitigen Lehramt steht, insbesondere was die Themen Frauen und Homosexualität anbetrifft. Es wäre demnach der deutsche Synodale Weg, der die Einheit der Kirche gefährdet, und dessen Veränderungsbestrebungen Woelki entgegentritt. Die Einheit der Ortskirche kann nicht gemeint sein, denn im Erzbistum ist der Kardinal wahrlich nicht als Integrator unterwegs.

      • Wanda
        26.09.2021, 17:44 Uhr.

        Nichts hinzuzufügen…

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