Erzbischof Heße darf weitermachen

Papst Franziskus hat entschieden: nach Kardinal Reinhard Marx soll auch Erzbischof Heße im Amt bleiben. Die Untersuchungen zu den Vorgängen im Erzbistum Köln hätten zwar „persönliche Verfahrensfehler festgestellt“, doch seien diese nicht mit der Absicht begangen worden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen. Das geht aus einer Erklärung der Apostolischen Nuntiatur hervor, die die Bischofskonferenz heute veröffentlichte. Heße erklärte in einem Brief an die Gläubigen des Erzbistums, es werde nun „um einen Neu-Anfang gehen müssen“. Wie dieser aussehen wird, will er mit Gremien und Einzelpersonen beraten. Zum Erzbistum Köln gibt es nach wie vor keine Entscheidung. Möglich aber, dass es auch hier vor der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der kommenden Woche noch eine Antwort aus Rom gibt.

Wann muss ein Bischof zurücktreten?

Was sind die Kriterien, damit ein Bischof im Kontext von Missbrauchsaufarbeitung zurücktreten muss? Diese Frage stellten in den vergangenen Monaten viele deutsche Bischöfe bis hin zum Vorsitzenden. Aus dem Vatikan gibt es dazu bisher keine Antwort. Klar ist, wenn der Bischof selbst Täter ist, dann gibt es kein Zögern des Heiligen Stuhls. Wie verhält es sich mit Verschleppen der Aufarbeitung und Vertuschung? Hier kommt man in schwieriges Fahrwasser. Die Erklärung, die die Nuntiatur heute veröffentlichte, gibt einige Anhaltspunkte. Es muss dem Bischof Absicht nachgewiesen werden. Dies habe im Falle Heßes nicht vorgelegen. Dann hat die Tatsache, „dass der Erzbischof seine in der Vergangenheit begangenen Fehler in Demut anerkannt und sein Amt zur Verfügung gestellt hat“ offenbar eine Rolle bei der Bewertung der Causa gespielt. Wer an seinem Posten klebt und keine Einsicht, keine Reue zeigt, läuft Gefahr, seinen Posten zu verlieren.

Beide Punkte lassen einen Ermessensspielraum. Inwieweit sie für Heße wirklich zutreffen, werden Betroffene anders beurteilen, als das der Vatikan macht. Sowohl Erzbischof Heße als auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sprechen heute in ihren Erklärungen zur vatikanischen Entscheidung ausdrücklich die an, die davon irritiert sind. Wenn am Ende niemand wirklich Konsequenzen fürchten muss, verliert das Rücktrittsangebot an Wirkmacht. Der Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, twitterte: „Organisierte Verantwortungslosigkeit“ und forderte zum Kirchenaustritt auf. Die Reforminitiative „Wir sind Kirche“ bezeichnete die Entscheidung des Papstes als „problematisch“ unter anderem, weil sie durch ein „höchst intransparentes Untersuchungsverfahren“ zustande gekommen sei. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zeigte sich schockiert. ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann erklärte, „es ist ein Schlag ins Gesicht für Betroffene von sexueller Gewalt, wenn aus diesen Fehlentscheidungen keine persönlichen Konsequenzen folgen“.

Entscheidung schafft kein Vertrauen

Sowohl Erzbischof Heße als auch in noch stärkerem Maße Kardinal Marx wollten Verantwortung für die institutionellen Fehler übernehmen. Das lässt Papst Franziskus nicht gelten. Wie kann dann aber diese Verantwortung übernommen werden? Erschöpft sie sich in Bußakten und Worten? Gerade durch seine jüngste Reise zog sich wie ein roter Faden die Forderung, „genug geredet, ich will Taten sehen“. Was heißt das in Bezug auf die Verantwortung für die systemischen Fehler? Die heute veröffentlichte Entscheidung ist nicht dazu geeignet, Vertrauen in die Missbrauchsaufarbeitung der katholischen Kirche aufzubauen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

4 Kommentare

  • Maria
    15.09.2021, 17:27 Uhr.

    „Die heute veröffentlichte Entscheidung ist nicht dazu geeignet, Vertrauen in die Missbrauchsaufarbeitung der katholischen Kirche aufzubauen.“
    Das ist sicher die eine Seite. Andererseits muss man im Fall von Erzbischof Heße wohl auch berücksichtigen, dass sein Dienstherr über lange Zeit Kardinal Meißner war, für den es Missbrauch eigentlich nicht gab und der Entscheidungen seinem damaligen Generalvikar (Heße) mit Sicherheit nicht leicht machte. Ich kann mir gut vostellen, dass dies auch in dem Bericht derbeiden Visitatoren zur Geltung kam.
    Dass weltweit schon oft agiert wurde und Bischöfe ihre Posten verloren ist aber Tatsache.

  • Erasmus
    18.09.2021, 23:30 Uhr.

    MAN KANN DOCH KEIN FAMILIENMITGLIED VERSTOSSEN
    Es gibt gute Gründe, der Katholischen Kirche im Kontext des in Deutschland 2010 ins Rollen gebrachten Missbrauchsskandals ORGANISATIONSVERSAGEN vorzuwerfen.
    Dem Feature „Bischöfe im Nebel“ von Gaby Mayr im Deutschlandfunk lässt sich ein wichtiger Gesichtspunkt entnehmen, warum der höhere Klerus länderübergreifend davor zurückschreckt, sich auf die Seite der Opfer zu stellen. Im Interview erläutert der Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Heinrich TIMMEREVERS, dass er ja seinen Diözesanpriestern gegenüber Bruder und Vater sei. „Als Vater muss ich jemanden auch zurechtweisen, … auch mal eine disziplinarische Maßnahme ergreifen. … Und der Mitbruder … ist mir an die Seite gestellt und gegeben, … den kann ich nicht einfach fallen lassen.“
    Der katholische Priester hat auf die Gründung einer Familie verzichtet. Im Gegenzug ist er Mitglied einer monogeschlechtlichen KLERIKALEN GROSSFAMILIE geworden, die über dem Stand der Laien steht und sich ihrer Exklusivität bewusst ist. Der vom Priester geleistete Gehorsam hat sein Gegenstück in der fürsorglichen Haltung des Bischofs seinem „Sohn“ gegenüber.
    Die VERMISCHUNG VON ORGANISATION, deren Mitglieder sich innerhalb formeller Strukturen sachbezogen austauschen, UND FAMILIE, die auf informellen gefühlsbetonten Beziehungen beruht, läuft auf ein verworrenes nebelhaftes Konglomerat hinaus, dessen Dysfunktionalität sich insbesondere im Ernstfall zeigt.
    Sexuelle Gewalt als schwerwiegende Kriminalität von Priestern kann nur von AUSSERKIRCHLICHEN INSTITUTIONEN aufgeklärt und angemessen bestraft werden. Dem Bischof bliebe es dann unbenommen, seinen schuldig gewordenen „Priestersohn“ im Gefängnis zu besuchen. Allerdings würde ich von einem Bischof erwarten, dass es ihm – unbenommen seiner Loyalität seinen Mitbrüdern gegenüber – ein persönliches Anliegen ist, sich den schwerst geschädigten Opfern von Klerikern sensibel und anteilnehmend zuzuwenden.
    PAPST FRANZISKUS steht im Fall Heße vor einem Dilemma. Die mit schwerwiegenden Konsequenzen verbundenen Pflichtverletzungen Heßes wären eigentlich Anlass genug für einen Rücktritt, allerdings müssten dann „Bischöfe weltweit fallen wie Dominosteine.“ (Daniel Deckers)

    • Wanda
      20.09.2021, 15:58 Uhr.

      Volle Übereinstimmung…

  • Hildegard Hardt
    20.09.2021, 12:20 Uhr.

    Wenn die Mißbrauchsaufarbeitung so lasch erfolgt, muß man sich nicht darüber wundern, daß immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren. Papst Franziskus ist offenbar schon zu alt und schwach, um konsequent durchzugreifen. Oder sind ihm die gequälten Seelen vielleicht schon egal?

    Die Kirche braucht bei aller Barmherzigkeit auch eine starke führende Hand. Jesus vergab zwar sehr viel, aber er jagte auch die Händler aus dem Haus des Vaters.

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