Der Papst im Irak – aus dem „sie“ ein „wir“ machen

„Das ist die wahre Religiosität: Gott anbeten und den Nächsten lieben.“ Beim interreligiösen Treffen im biblischen Ur erteilte Papst Franziskus Gewalt, Hass und Terror im Namen der Religion erneut eine klare Absage. Statt solchen Missbrauch zu tolerieren oder gar anzufachen, forderte er von den Religionsführern ein klares Engagement: „Wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht. Im Gegenteil, es liegt an uns, Missverständnisse durch Klarheit aufzulösen. […]  Es liegt an uns Menschen heute und vor allem an uns Gläubigen jeder Religion, die Werkzeuge des Hasses in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln.“ Der Tag begann am Morgen mit einem privaten Treffen des höchsten schiitischen Geistlichen im Land, Großajatollah Ali Ak-Sistani, in Nasirijah. Dass es bis zur Geschwisterlichkeit aller noch ein weiter Weg ist, zeigte sich daran, dass bei dem Treffen in Ur keine Juden anwesend waren.

Vertreter verschiedener Religionen nahmen an der Begegnung im biblischen Ur teil, das Judentum fehlte. (Quelle: Erbacher)

Absage an Verquickung von Religion und Gewalt

Die Botschaft des Papstes ist nicht neu. Die Grundzüge finden sich bereits im „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“, das Franziskus vor gut zwei Jahren in Abu Dhabi mit einem führenden sunnitischen Geistlichen unterzeichnet hat. Sie sind auch in seiner jüngsten Enzyklika „Fratelli tutti – Geschwister alle“ vom Oktober zusammengefasst. Das Treffen von Ur ist ein weiterer Versuch der Implementierung dieser Gedanken. Einmal mehr ist das zentrale Thema die „Geschwisterlichkeit“. Dass in Mossul nach der Zerstörung von Kirchen durch den sogenannten Islamischen Staat Muslime beim Wiederaufbau geholfen haben, ist für Franziskus ein Beispiel, dass „auf den Trümmern des Hasses brüderliche Freundschaften aufgebaut“ wurden. Die Zeugnisse eines jungen Christen und seines muslimischen Altersgenossen, die seit Kindertagen befreundet sind und seit einiger Zeit ein gemeinsames Geschäft führen, sind für den Papst ein Beispiel dafür, dass es dringend notwendig sei, „zur Geschwisterlichkeit zu erziehen“. Dies sei „der wirksamste Impfstoff für ein friedliches Morgen“.

Was für Franziskus überhaupt nicht zusammenpasst, ist die Verquickung von Religion und Gewalt. „Gott ist barmherzig und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst. Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt entspringen nicht einer religiösen Seele – sie sind Verrat an der Religion.“ Der Papst erinnerte an Krieg, Terror und Gewalt im Irak. Alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften hätten darunter gelitten. Erneut hob er das Schicksal der Gemeinschaft der Jesiden hervor, „die den Tod vieler Männer zu beklagen hatte und mit ansehen musste, wie tausende Frauen, Mädchen und Kinder entführt, als Sklaven verkauft sowie körperlicher Gewalt und Zwangskonvertierungen unterworfen wurden“.

Aus Schwertern werden Raketen

Abschottung, Rüstungswettlauf, Mauern, die Vergötzung des Geldes und Konsumismus werden die Welt angesichts der aktuellen Krisen nicht retten, erklärte Franziskus und nannte einige Beispiele, wo die Religionen an einer gerechteren und friedlichen Zukunft mitarbeiten müssten. Dazu gehörten etwa der Kampf gegen Korruption und der Einsatz für Umweltschutz. „Es liegt an uns, die Verantwortlichen der Nationen nachdrücklich aufzufordern, dass die zunehmende Verbreitung von Waffen der Verteilung von Nahrung für alle weicht“, mahnte Franziskus. Er erinnerte an die alte prophetische Weissagung, dass die Völker „ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern“ (Jes 2,4) Diese Vorhersage habe sich nicht verwirklicht, so Franziskus, „aus Schwertern und Lanzen sind vielmehr Raketen und Bomben geworden“. Der Weg des Friedens könne nur beginnen beim „Verzicht, Feinde zu haben“, ist der Pontifex überzeugt. Wer an Gott glaube, habe keine Feinde, die er bekämpfen müsse. Aus Sicht des Papstes bedeutet, den Wegen Gottes zu folgen, „nicht gegen jemanden zu sein, sondern nur für alle“. Wie schon bei früheren Gelegenheiten betonte Franziskus: „Es wird keinen Frieden geben, solange die anderen als ‚sie‘ bezeichnet werden und nicht als ‚wir‘.“

Es sei, „als würden wir nach Hause zurückkehren“, erklärte Franziskus zu Beginn der Veranstaltung. Im biblischen Ur, das auch als „Wiege der Menschheit“ bezeichnet wird, spricht er vom Aufbruch des Abraham. Ob es auch ein neuer Aufbruch im Miteinander der Religionen wird, ist ungewiss. Dass ein solcher notwendig ist, wurde bei der Veranstaltung am Morgen in Ur deutlich. Am Geburtsort Abrahams fehlte eine der drei Religionen, die sich auf den Stammvater berufen: das Judentum. Laut Vatikan waren sie eingeladen. Warum sie nicht anwesend waren, ist nicht bekannt. Vatikansprecher Matteo Bruni hatte bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass im Irak nur rund ein Dutzend Juden lebten und es kein religiöses Oberhaupt gebe. Doch die Tatsache, dass die älteste der drei monotheistischen Religionen an diesem Tag nur in Worten anwesend war, wirft einen Schatten auf das Ereignis von Ur.

Ein Erfolg war es sicherlich, dass am Morgen das Treffen zwischen Franziskus und dem Großajatollah Ali al-Sistani in der für Schiiten heiligen Stadt Nadschaf zustande kam. Mit 45 Minuten dauerte das Gespräch länger als ursprünglich geplant, ein positives Zeichen. Zu einer gemeinsamen Erklärung kam es allerdings nicht. Franziskus dankte dem 90-Jährigen dafür, dass er sich für die Verfolgten einsetze. Außerdem warb er für die Zusammenarbeit zwischen den Religionsgemeinschaften. Der Großajatollah sprach über Unterdrückung, Armut und Verfolgung vieler Völker im Nahen Osten und legte dabei ein besonderes Augenmerk auf die Lage der Palästinenser. Theologisch ist Al-Sistani ein konservativer Vertreter des Islam. Entschieden trat er dem sogenannten Islamischen Staat gegenüber, sieht den Einfluss des Iran im Land kritisch, kritisiert Korruption scharf, geht allerdings zur Politik eher auf Distanz.

Erste Messe im ostsyrischen Ritus eines Papstes

Am Abend kam es zu einer Premiere. Erstmals feierte ein Papst eine Messe in der chaldäischen Kathedrale von Bagdad im ostsyrischen Ritus. Bei dem Gottesdienst mit rund 150 Gläubigen, an der auch Staatspräsident Salih teilnahm, ermutigte er die Gläubigen, ihren Glauben im Alltag zu leben. „Um selig zu werden, muss man nicht ab und zu zum Helden, sondern jeden Tag zum Zeugen werden“, erklärte das Kirchenoberhaupt. Der Papst sprach die vielfältigen Probleme und Herausforderungen der Menschen im Irak nicht ausdrücklich an, doch seine Predigt war eine Handlungsanweisung dafür, wie ein Christ in schwierigen Situationen agieren sollte. Weder Flucht noch Wut seien die richtigen Antworten, erklärte Franziskus, und stellte Jesus als Vorbild vor. „Mit der stillen Kraft der Liebe, mit seinem geduldigen Zeugnis“ habe diese die Geschichte verändert.

Es ist ein Motiv, das in den Predigten von Franziskus immer dann vorkommt, wenn in Kontexten spricht, die von Krieg, Gewalt, Terror, Misstrauen und Verletzungen geprägt sind. Das war in Kolumbien so oder auch in der Zentralafrikanischen Republik. Er verlangt damit viel von den Gläubigen. Wenn er will, dass auch die Religion, die er vertritt, zu Frieden und Versöhnung beiträgt, ist das konsequent. Franziskus geht dabei auf einem schmalen Grat, wenn er die Gläubigen darauf verweist, dass die Kleinen besonders im Herzen Gottes sind. Das wirkt schnell wie eine Vertröstung aufs Jenseits, während die Menschen im Jetzt leiden. Diese Worte werden nur dann nicht missverständlich, wenn man das Engagement des Papstes für soziale Gerechtigkeit und Rechtstaatlichkeit sieht, wie er sie etwa am ersten Tag bei den politischen Terminen vertrat.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

Ein Kommentar

  • Novalis
    14.03.2021, 21:48 Uhr.

    „Das ist die wahre Religiosität: Gott anbeten und den Nächsten lieben.“ – Auch hier gibt es wohl nicht zu stänkern oder sachlich falsche Aussagen über Jesus zu verbreiten. Bemerkenswert, dass die postings bei anderen Artikel nur noch dazu dienen, den eigenen seelischen Müll durch Auskotzen über Christentum und Kirche lozuwerden.

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