Papst: Mit Solidarität gegen Populismus

60 Jahre Römische Verträge feiern die Staats- und Regierungschefs der EU heute in Rom. Doch das Staatenbündnis steckt in einer Krise. Dass das nichts Negatives sein muss, betonte gestern Abend Papst Franziskus bei einem Treffen mit den Politikern im Vatikan. „Unsere Zeit ist eine Zeit der Entscheidung, die dazu einlädt, das Wesentliche zu prüfen und darauf aufzubauen: Es ist somit eine Zeit der Herausforderung und der Möglichkeiten.“ Anders als in früheren Europareden beließ es Franziskus dieses Mal nicht bei der Kritik und Mahnung. Vielmehr zeigte er Perspektiven auf, wie Europa wieder Hoffnung finden könne. Der Mensch müsse in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns gestellt werden. Als reine Wirtschaftsunion funktioniert das Staatenbündnis nicht, macht Franziskus deutlich. Nicht dass das etwas Neues wäre aus dem Mund eines Papstes. Seine Vorgänger hatten das auch immer wieder betont. Doch in wirtschaftlich guten Zeiten, konnte man solche Stimmen gut überhören; angesichts der anhaltenden Krisen sind die handelnden Personen vielleicht offener für derartige Mahnungen. Immerhin soll in der Erklärung der Staats- und Regierungschefs zum Jubiläum heute der Solidaritätsgedanke stark verankert werden.

Zum Abschluss gab es ein Gruppenbild in der Sixtinischen Kapelle. (Quelle: reuters)

Zum Abschluss des Treffens gab es ein Gruppenbild in der Sixtinischen Kapelle. (Quelle: reuters)

Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Franziskus sparte nicht mit Kritik. Er sprach von einem „Erinnerungsvakuum, das unsere heutige Zeit kennzeichnet“. So übersehe man gerne, dass das europäische Projekt die längste Friedenszeit der letzten Jahrhunderte auf dem Kontinent gebracht habe. Der Papst erinnerte an die Ideen der Gründerväter und erklärte: „Das erste Element europäischer Lebenskraft ist die Solidarität“. Aus ihr entspringe die Fähigkeit, „sich für den anderen zu öffnen“. Sie sei auch „das wirksamste „Heilmittel gegen Populismus“. Als weitere Pfeiler der Gründungsidee macht er aus: die Zentralität des Menschen, die Offenheit für die Welt, das Verfolgen des Friedens und die Entwicklung, also die Offenheit für die Zukunft.

Auffallend ist, dass Franziskus immer wieder die Zentralität des Menschen betont: die Bedeutung, die eine menschenwürdige Arbeit, angemessene Lebensbedingungen und der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für das friedliche Miteinander haben. „Es gibt keinen Frieden, wo Arbeit oder die Aussicht auf einen menschenwürdigen Lohn fehlen. Es gibt keinen Frieden in den Peripherien unserer Städte, in denen Drogen und Gewalt grassieren.“ Europa habe eine Zukunft, wenn es in Arbeit und Familien investiere, ist Franziskus überzeugt, und die politischen Institutionen müssen bürgernäher werden.

Migration legt tiefere Frage offen

Keine Europarede des Papstes ohne auf das Thema der Migration zu sprechen zu kommen. Er warnt Europa davor, „sich nicht in die Angst falscher Sicherheiten einzuschließen“. In seiner Analyse kommt er zu dem Schluss, dass die Migrationsproblematik einen wunden Punkt in Europa offenlege, der zunächst einmal gar nichts mit den Flüchtlingen zu tun hat: „Die Angst, die man häufig wahrnimmt, findet nämlich ihren tieferen Grund im Verlust der Ideale.“ Ohne eine eigene Perspektive und eigene Ideen werde man am Ende von der Angst beherrscht, „dass der andere uns aus den festen Gewohnheiten herausreißt, uns die erworbenen Annehmlichkeiten nimmt, auf gewisse Weise den Lebensstil in Frage stellt, der allzu oft nur aus materiellem Wohlstand besteht“.

Franziskus macht im Wohlstand den Grund dafür aus, dass Europa seine Offenheit im Denken verloren hat. Europa habe aber ein geistiges und ideelles Erbe, das weltweit einzigartig sei. Diese müsse wieder mit Leidenschaft und neuer Frische aufgegriffen werden. „Es stellt das beste Heilmittel gegen das Vakuum an Werten unserer Zeit dar, jenen fruchtbaren Boden für die Extremismen unserer Zeit“. Sprich: Europa besinne Dich auf deinen geistigen und ideellen Reichtum, der, so Franziskus, stark von christlichen und humanen Werten geprägt sei.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

18 Kommentare

  • Wanda
    25.03.2017, 17:21 Uhr.

    – mir geht Mahnen (und sei es noch so berechtigt) grundsätzlich dann auf die Nerven, wenn sie von Leuten kommt, deren eigene, streng hierarchische Institution gravierende Defizite der Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung aufweist, d.h. die beträchtlich weit von den eigenen Idealen (d.h. denen ihres Gründers) entfernt ist.
    Vor der eigenen Tür kehren, sollte eigentlich die Devise sein…
    P.S. das schliesst nicht aus, dass ich Franziskus‘ Bemühungen im eigenen Laden durchaus anerkenne. Nur erinnert mich das leider manchmal an die Windmühlen des Don Quichotte…

    • Alberto Knox
      25.03.2017, 22:09 Uhr.

      mir scheint, dass manche vergessen, dass nach katholischer überzeugung wahrheit nicht durch demokratische abstimmung hergestellt wird. der kirche einen mangel an demokratie zu unterstellen ist daher so ähnlich wie wasser vorzuwerfen, dass es nass sei.
      der papst oktroyiert ja schließlich in fragen der gesellschaft keine katholische wahrheit auf, sondern setzt sich für eine reichlich egalitäre, soziale, an teilhabe orientierte formung europas auf. daran ist nichts, aber auch wirklich nichts auszusetzen. und wem die kirche nicht passt, kann ja austreten – oder sich dafür einsetzen, dass sie sich ändert. permanentes nörgeln zeigt m.e. eher defizite beim nörgler als beim benörgelten.

      • Silberdistel
        27.03.2017, 10:48 Uhr.

        Alberto Knox
        25.03., 22:09 h
        „..dass nach katholischer überzeugung wahrheit nicht durch demokratische abstimmung hergestellt wird“ Zitatende.
        Es ist sehr korrekt, das viele Aussagen hier in das blog mit ´katholisch´ vermerkt werden. Was von vorn herein richtig impliziert das ´katholisch´ nicht automatisch mit christlich gleichzusetzen ist.
        Ich vertrete immer noch die These, das Demokratie ohne die Botschaften Christi sich so nicht hätte (erfolgreich) entwickeln können. Das zur Demokratie das Christentum gehört bzw. dem immanent ist. Denkbar als rein theoretische Alternative wäre eine rein humanistische Variante, wie sie etwa die Sowjeträte mal sein sollten, deren ‚Erfolge´ historisch bekannt, jedoch abgestraft wurden.
        Da hat sich ca. im Jahr 30 ad mit den Lehren und Botschaft des Jesus Christus ein ´upgrade´ in die damalige, nicht nur religiöse, sondern ebenso übrige Geisteswelt ergossen; die die Menschen successive für sich vereinnahmt hat. Nebenbei bemerkt ganz ohne Brimborium & BimBam, nur aufgrund der (frohen) Botschaft. Sich hauptsächlich zunächst in den Raum des heutigen Europa ergossen hat. Die Lehre der Geschwisterlichkeit vor Gott – die per se eine Erfolgsgeschichte ist, historisch belegbar. Jedenfalls da wo sie sich, teils gegen den vehementen Widerstand der rk-Kirche (Aufklärung – Was soll es einem als Christ auch interessieren, ob beispielsweise die Erde eine Kugel ist oder eine Scheibe. Dagegen ist jedoch durchaus interessant, WIE zusammen gelebt wird), frei entfalten konnte.
        Ich denke Papst Franziskus hat in seiner o.g. Rede als Leader einer der namhaften christl. Konfessionen und Karlspreisträger zurecht an diese Basis, der Basis der URLEHRE JESU, der GESCHWISTERLICHKEIT VOR GOTT, und damit an das Evangelium erinnert. Und nicht daran was Katholizismus in Europa konnte und kann. Das hätte im Hinblick auf den 30jährigen Krieg wie die Inquisition wohl auch nicht so viele der europäischen Staatslenker interessiert.

        • Alberto Knox
          27.03.2017, 15:30 Uhr.

          ich muss sie enttäuschen, katholisch (im nichtkonfessionellen sinne) und christlich sind synonyme. vor dem 19. jahrhundert gibt es so gut wie KEINE übersetzungen und erläuterungen (im katholisch-konfessionellen bereich) zum glaubensartikel des apostolischen glaubensbekenntnis, dass man die „katholische“ kirche (ecclesiam catholicam) glaube, in denen catholicus NICHT mit christlich übersetzt wird.

          putzigerweise sind es heute die lutherischen, die diese alte, gute und richtige sowie vor allem KATHOLISCHE übersetzung von catholicus beibehalten…

          • Alberto Knox
            31.03.2017, 22:33 Uhr.

            ich hoffe mal, dass dieses kadavergehorsamkatholisch gerade nicht bei den altkatholiken verbreitet ist…

  • Silberdistel
    26.03.2017, 13:22 Uhr.

    Papst Franziskus emittierte einmal mehr bewundernswert hohes christliches Niveau. Man muß hoffen, das diese Rede nicht nur in den Köpfen der Staats- und Regierungschefs der EU seinen Niederschlag fand.
    Freilich hinkt sein eigener Laden dem in großen Teilen weit hinterher, insbesondere in der Umsetzung. Doch Ihm werden hoffentlich noch viele Jahre zu den vergangenen vier gegeben, um das zu ändern.

    • Wanda
      28.03.2017, 17:13 Uhr.

      Silberdistel 13:22
      …die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube (mir als Atheist gestattet).
      Man muss kein Prophet sein: die Amtskirche, der er vorsteht, wird er nicht in die Knie zwingen können, denn die hinkt in der Umsetzung nicht hinterher sondern der klerikale oberste Klüngel verweigert sich einfach bzw. boykottiert.
      – Ansonsten, was die persönlichen Qualitäten und löblichen Absichten Franziskus‘ angeht, durchaus Ihrer Meinung.

  • Silvia
    31.03.2017, 14:17 Uhr.

    Wrightflyer
    30.03.2017, 21:57 Uhr.

    Seit 1. Advent 2013 haben wir ein neues, komplett überarbeitetes Gotteslob!!!!!

    • Alberto Knox
      01.04.2017, 15:09 Uhr.

      was wollen sie uns sagen, @silvia, damit, dass wir ein neues gl haben? dass ja nur wieder den größten müll aus dem 19. jahrhundert (und auch noch in dessen sprache) repristiniert hat?

  • theonal
    01.04.2017, 8:45 Uhr.

    Bei einigen Kommentaren kam mir ein ehemaliger Religionslehrer in den Sinn. Er hat scherzhaft gesagt, dass die meisten Menschen wegen des achten Sakramentes in den Himmel kommen. Es sei von Jesus am Kreuz eingesetzt worden: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Ob er so Unrecht hatte? Es gibt das unüberwindlich irrige Gewissen. Kein Mensch kann beurteilen, was in einem anderen vorgeht und warum jemand zu dieser oder jener Entscheidung gekommen ist. Die Konsequenz wäre also: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“

    • Wanda
      01.04.2017, 15:56 Uhr.

      ach Theonal (08:45),
      – Bleiben wir doch realistisch: das Jesus-Wort „Richtet nicht“ war und ist für die Amtskirche und ihre obersten Richter (der Inquisation) noch nie Verpflichtung und noch weniger von Bedeutung, weder in ihrer diesbezüglich anrüchigen Geschichte, noch in der Gegenwart…

    • Silberdistel
      01.04.2017, 17:35 Uhr.

      theonal
      01.04., 8:45 h
      Machte Ihr ehem. Religionslehrer Aprilscherze? Eine Meinung nicht nur zu haben, sondern sie auch zu vertreten (letzteres zugegebenermaßen in der Kirche nicht so ganz üblich…), bedeutet noch lange lange nicht über jemanden zu richten 😉

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