Politische Kirche in unruhigen Zeiten

Die katholische Kirche mischt sich ein in Politik und Gesellschaft. Das macht sie nicht aus reiner Willkür, sondern weil sie einen Auftrag von ihrem Gründer her sieht. Diese Position war diese Woche in Fulda immer wieder zu hören. Wir müssen uns einmischen, wenn und weil es um den Menschen geht. Mit mächtigen Worten bekräftigten das die beiden deutschen Kardinäle Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki mehrfach bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Und daher gab es auch deutliche Kritik an der „Tonlage“ der aktuellen politischen Debatten im Land. Zum Abschluss der Versammlung erklärte der Vorsitzende Marx noch einmal, die Sprache habe sich mancherorts „bedenklich radikalisiert“. Das werde weder den Flüchtlingen gerecht, „die in ihrer ganz großen Mehrheit eben keine Terroristen oder Kriminelle sind, noch dem gesellschaftlichen Frieden“. In diesen Tagen von Fulda merkte man, dass in einem politischen Pontifikat, wie die katholische Kirche es seit drei Jahren unter Papst Franziskus erlebt, auch die deutschen Bischöfe wieder politischer werden.

66 Mitglieder umfasst aktuell die Deutsche Bishcofskonferenz. Traditionell findet die Herbstvollversammlung im Priesterseminar in Fulda statt. (Quelle: dpa)

66 Mitglieder umfasst aktuell die Deutsche Bischofskonferenz. Traditionell findet die Herbstvollversammlung im Priesterseminar in Fulda statt. (Quelle: dpa)

Marx fordert Einwanderungsgesetz

Wie auf gesamtkirchlicher Ebene rücken die moraltheologischen Fragen in den Hintergrund, was nicht bedeutet, dass dort traditionelle Positionen aufgegeben werden, zugleich bekommen die sozialethischen Fragen mehr Gewicht. So waren vom Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, auch selbstkritische Töne zu hören, was die katholische Kirche etwa bei Ihrer Arbeit für und mit Armen und Ausgegrenzten verbessern kann. Man habe sich etwa bei der Schularbeit zu stark auf die Mittel- und Oberschichten konzentriert durch den Unterhalt vor allem von Realschulen und Gymnasien. Die Kirche müsse sich aber von ihrem Auftrag mehr für arme und bildungsferne Schichten engagieren, erklärte Woelki, der im Erzbistum Köln verstärkt Schulprojekte in sozial schwächeren Gegenden initiiert.

Sein Münchner Amtskollege forderte angesichts der aktuellen Debatten um Flüchtlinge und Zuwanderer ein Einwanderungsgesetz. Deutschland sei seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollten. Man habe vor Jahrzehnten Gastarbeiter geholt, um den eigenen Wohlstand erhalten zu können, und habe dann gedacht, dass sie wieder gingen. „Das war eine problematische Haltung“, so Marx. Ein Einwanderungsgesetz böte die Möglichkeit einer differenzierteren Debatte. Dann werde klarer, dass Migration, Asyl und Flucht unterschiedliche Dinge seien. Marx bedauerte, dass es keine einheitliche europäische Flüchtlingspolitik gibt.

Spirit von Fulda: Intergrieren nicht ausgrenzen

Bewusst beschwor der Konferenzvorsitzende angesichts der aktuellen Debatten in Politik und Gesellschaft den „Geist von Fulda“. Dieser gründe in der Person des heiligen Bonifatius, der ein Europäer gewesen sei. „Er war ein Mann, der Zivilisation gebracht hat, ein Europäer, der die Menschen aus der Stammesenge in eine neue Zivilisation geführt hat.“ Seinen Amtsbrüdern gab er mit auf den Weg, nicht nur Nationalbürger, sondern im Sinne des Bonifatius auch Weltbürger zu sein. Wenn eines in diesen Tagen deutlich wurde, der „Spirit von Fulda“ und damit der katholischen Kirche soll bestimmt sein von der Haltung der Integration und nicht der Ausgrenzung, vom Abbau von Vorurteilen und Mauern sowie dem Aufbau von Brücken.

Das betrifft etwa auch den Umgang mit dem Reformationsgedenken. Die Zeit der „Ökumene der Profile“ ist endgültig vorbei. Immer wieder betonten Marx und seine Amtsbrüder, dass nach anfänglichen Schwierigkeiten im Umgang mit dem „Jubiläum“ jetzt beide Seiten, katholisch und evangelisch, einen guten Weg gefunden hätten, das 500-Jahr-Gedenken zu begehen. Das beginnt bei der Aufarbeitung der leidvollen Geschichte durch die Abgrenzung der beiden Konfessionen bis hin zur Frage nach gemeinsamen Perspektiven. So sprachen sich die Bischöfe etwa angesichts sinkender Schülerzahlen für eine engere Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche beim Religionsunterricht aus.

Integration statt Ausgrenzung gilt auch für den Umgang mit gescheiterten Ehen. Das zeigten die Beratungen des päpstlichen Schreibens „Amoris laetitia – über die Liebe in der Familie“. Zwar wird es wohl nicht, wie die Bischöfe vor einem Jahr noch ankündigten, ein eigenes Hirtenwort zu Ehe und Familie geben; aber es sollen „Konkretisierungen“ vorgelegt werden. „Wir müssen die schönen Worte des Papstes nicht noch einmal mit unseren Worten verdrechseln“, begründete Marx die Entscheidung. Zugleich erklärte er, ohne das Thema „wiederverheiratete Geschiedene“ eigens anzusprechen: „Natürlich hat sich die Tür geöffnet.“ Der Kardinal sieht darin eine Chance für eine „anspruchsvolle Seelsorge“. Es gehe darum, Menschen auf dem Weg der Gewissensbildung zu begleiten. Es wurde ganz klar, dass Marx die Einzelfalllösungen im Blick hat. Ob diese Position alle Mitglieder der Bischofskonferenz vertreten, blieb allerdings offen. Angesichts der Tatsache, dass die Bischöfe im Verlauf des synodalen Prozesses mit großer Mehrheit eine Position formuliert hatten, die den päpstlichen Äußerungen sehr nahe kommt, was Marx heute noch einmal eigens betonte, ist es interessant zu sehen, dass sie sich im Umgang mit dem Papier offensichtlich doch schwer zu tun. Der Teufel  scheint dann wohl doch im Detail zu stecken, oder schlicht in der Frage, ob die Tür vielleicht doch nicht aufgemacht wurde.

Sorgenkind „Institution Bischofskonferenz“

Es hat sich in den Tagen von Fulda einmal mehr gezeigt, die Bischofskonferenz als Institution ist ein schwaches Instrument. Der Vorsitzende kann Vorschläge machen und für Positionen werben. Am Ende ist jeder Bischof selbst dafür verantwortlich, was er in seinem Bistum umsetzt. Natürlich gibt es eine Art „Gruppenzwang“, wie man jüngst bei der Umsetzung neuer arbeitsrechtlicher Bestimmungen gesehen hat. Da hatten zunächst drei bayerische Bistümer die Zustimmung verweigert, zogen dann aber nach wenigen Monaten nach. Das funktioniert vielleicht in juristischen Fragen, wo Ungemach von weltlichen Gerichten droht. In theologischen und pastoralen Fragen sieht das anders aus. Hier bleibt nur der mühsame Beratungs- und Konsultationsprozess. Wenn Papst Franziskus die Bischofskonferenzen aufwerten und ihnen eigene Kompetenzen zuschreiben will, wird sich auch die Frage stellen, wie dann die Verfahrensfragen sind. Einfach nur mehr „Macht“ auf diese Ebene zu verlagern, ist nicht die Lösung. Die Frage ist, wie diese Ebene dann auch arbeits- und handlungsfähig wird.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

11 Kommentare

  • Alberto Knox
    23.09.2016, 1:19 Uhr.

    es wird halt die eigene lehramtliche kompetenz der bischofskonferenzen kommen müssen. ich denke, papst franziskus wird sie durchsetzen, genauso wie die kommunion für wiederverheiratete geschiedene. vernünftige ideen im sinne christi sind beide, die lehramtliche kompetenz und die kommunion.

    • bernardo
      23.09.2016, 13:30 Uhr.

      Zitat: „es wird halt die eigene lehramtliche kompetenz der bischofskonferenzen kommen müssen.“

      Ein Bruch mit der Tradition und der beste Weg zu neuen Schismen.

      • Novalis
        26.09.2016, 10:00 Uhr.

        Das ist Ihre Meinung, aber schlicht nicht der Wahrheit entsprechend. Und wenn der Papst es demnächst lehrt – dann ist es schlicht katholischer Glaubensinhalt.

        • bernardo
          27.09.2016, 16:36 Uhr.

          Der Papst kann nicht einfach lehren, was er will. So zu argumentieren ist ein Papalismus, der ungut ist, egal, ob er „konservativ“ oder „progressiv“ ist.

          • Alberto Knox
            29.09.2016, 13:34 Uhr.

            und sie haben weder eine amtliche noch eine fachliche kompetenz darüber zu urteilen, was der papst lehren kann oder nicht. die lehrkompetenz an bischofskonferenzen zu delegieren verstößt jedenfalls nicht gegen die lehre der kirche.

          • bernardo
            30.09.2016, 14:28 Uhr.

            @ Knox: Wo genau habe ich das getan? Richtig, überhaupt nicht. Ich habe nur darauf verwiesen, dass das Petrusamt ein Wächteramt ist und keine Diktatur.

      • Student
        26.09.2016, 14:57 Uhr.

        Dem stimme ich zu.

        Wenn die Bischofskonferenzen eigene lehramtliche Befugnisse bekommen, dann wird es keine katholische Kirche mehr geben. Es würde ein Flickenteppich entstehen wie in den protestantischen Kirchen.
        Noch mehr Spaltung also und noch mehr Streit…
        Jesus Christus will aber nur eine Kirche, nämlich seine Kirche und da kann nicht an einem Ort etwas anderes gelehrt werden als wieder woanders…
        Deshalb gibt es ja auch das Papstamt, um Einheit zu stiften.

        • Ambrosios
          27.09.2016, 16:13 Uhr.

          Das stimmt schon allein deswegen nicht, weil es nach dieser „Theorie“ dann auch keine Provinzialsynoden geben dürfte. Die Antike und das Mittelalter kannte sie. Mit lehramtlicher Kompetenz. […]*

          *Der Beitrag wurde wegen des Verstoßes gegen die Netiquette editiert.

        • Novalis
          27.09.2016, 21:37 Uhr.

          […]*

          „Wenn die Bischofskonferenzen eigene lehramtliche Befugnisse bekommen, dann wird es keine katholische Kirche mehr geben.“

          Wie kommt man auf sowas? Auch eine Provinzialsynode hat lehramtliche Kompetenz – und durch die Abhaltung von Synoden in Afrika oder Polen geht die Existenz der katholischen Kirche nicht verloren.

          „Es würde ein Flickenteppich entstehen wie in den protestantischen Kirchen.
          Noch mehr Spaltung also und noch mehr Streit…“

          Das ist schlicht eine einseitige Sicht der Protestanten. Vielleicht beschäftigen Sie sich ein bisschen mehr mit der Theologie der Reformation. Das würde vor solchen Urteilen bewahren. Schon Papst Paul VI. sagte, dass die Christen weitaus mehr verbindet als trennt.

          „Jesus Christus will aber nur eine Kirche“

          Man kann mit guten Gründen sagen, dass der Jude Jesus eine Neusammlung des Volkes Israel wollte, aber keine Kirche gestiftet hat.

          „nämlich seine Kirche und da kann nicht an einem Ort etwas anderes gelehrt werden als wieder woanders…“

          Aber natürlich geht das. Denn nur im Notwendigen, schreibt Augustinus, muss die Einheit herrschen, sonst die Freiheit. Auch junge Theologen müssen lernen, in der Theologie das Notwendige vom Nichtnotwendigen zu unterscheiden. Und jenseits vom Nizänokonstantinopolitanum ist wahrlich nicht viel notwendig. Also vertiefen Sie mal Ihre Kenntnisse.

          „Deshalb gibt es ja auch das Papstamt, um Einheit zu stiften.“ Davon abgesehen, dass „um…zu-Konstruktionen“ im Deutschen nach wie vor als grammatikalisch korrekt nur gelten, wenn ein parallel gebauter Finalsatz dasselbe Subjekt hat wie der übergeordnete Satz stiftet die Einheit der Kirche der Hl. Geist und nicht der Papst. Dieser soll die Einheit bewahren. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Bewahrung der Einheit kann auch dadurch geschehen – das wird Ihnen sicher nicht passen, aber ich kann die Wahrheit auch nicht ändern -, dass theologische Probleme kontrovers durch- und ausdiskutiert werden. Und manchmal kann diese Einheitswahrung sogar dadurch geschehen – wie im Gnadenstreit um 1600 -, dass man die gegensätzlichen Positionen (obwohl kontradiktorisch einander entgegengesetzt, so dass nur eine wahr sein kann) BEIDE für katholisch erklärt und die weitere Diskussion verbietet 🙂

          *Der Beitrag wurde wegen des Verstoßes gegen die Netiquette editiert.

  • Silberdistel
    23.09.2016, 13:20 Uhr.

    „Politik“ ist ja auch nur eine von vielen vom Menschen geschaffenen intellektuellen Rollatoren, um damit seine Umgebung mit seinem Level von Verstand überhaupt einigermaßen begreifen zu können. So fällt es ihm leichter mit einem Denkvorgang so wie mit einem Apfel umzugehen, ihn zunächst zu be-greifen und dann anschließend in einer Schublade ab zu legen. Gottes Gebote und Jesu Lehren haben jedoch völlig anderen, UNIVERSELLEN Charakter. Von einem Schöpfergeist der universell alles erschaffen hat, aus dem alles ist und der solche Gehirnzellen-Rollatoren mutmaßlich nicht braucht. Die Gebote Gottes sowie Jesu Lehren sind deshalb auch universell zu verstehen, eben auf das ganze Leben bezogen. Christus spricht beispielsweise auch vom „Licht der Welt und das Salz der Erde“ verallgemeinernd, wie in vielen anderen Gleichnissen. In der praktischen Anwendung menschlicher Denkweise also dann durchaus auch politisch, aber eben nicht nur. – In anderen Religionen scheint man das viel besser verstanden zu haben, das Glaube nicht etwas nur für den Herrgottswinkel ist und sich nicht nur in ihm abspielen soll. Erinnert soll an dieser Stelle auch mal an das „Buch des Lebens“ das aufgeschlagen werden wird.
    Und so muß eine Kirche die sich in der Nachfolge sieht, natürlich auch universell, auf das ganze Leben bezogen, sein. Politisch dann eben auch, insbesondere wenn es notwendig ist – aber nicht nur.

    Was die mittlerweile zahlreichen christlichen Konfessionen anbetrifft, so sollten die sich auch wieder mal mehr an das wahre Wort, die primären Botschaften, erinnern und nicht an das über die Jahrhunderte hinzugefügte Menschenwerk. So z.B. an: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind auf meinen Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt. 18,20).

  • Silberdistel
    27.09.2016, 12:28 Uhr.

    Wrightflyer
    26.09. 20:25 h
    Wirklich heilige Schriften sind mir als Quellen wirklicher Erkenntnis dann doch näher… – Terry PRACHETT hat daraus doch sowieso nur abgeschrieben! (Scherzbeitrag!!)

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