Weltjugendtag in Krakau – Tag 4

„Herr, erbarm dich über dein Volk! Herr, vergib so viel Grausamkeit!“ Das sind die einzigen Worte von Papst Franziskus bei seinem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau an diesem Freitag – nicht gesprochen, sondern ins Besucherbuch geschrieben. Zwei Stunden dauerte der Besuch des Papstes. Trotz der wenigen Worte, drückte er mit seinem Besuch viel aus. Ein Schweigen des Schmerzes, hatte Vatikansprecher Federico Lombardi die Haltung von Franziskus im Vorfeld charakterisiert. Und der Papst ließ sich viel Zeit, mehrfach verharrte er lange still im Gebet, etwa in der Todeszelle Maximilian Kolbes. Die einzigen Worte, die er sprach, wechselte er mit einigen Holocaust-Überlebenden und „Gerechten unter den Völkern“. Am Abend dann wollte er nicht länger schweigen. Bei einer kurzen improvisierten Ansprache zu den Menschen, die sich vor dem Erzbischöflichen Palais in Krakau versammelt hatten, fragte er mit Blick auf die grausamen Ereignisse, die in dem ehemaligen Konzentrationslager geschehen sind: „Ist es möglich, dass wir Menschen, die als Ebenbild Gottes erschaffen wurden, zu solchen Dingen fähig sind?“ Und er beklagte: „Die Grausamkeit hört nicht in Auschwitz und Birkenau auf. Auch heute werden Menschen gefoltert.“

Franziskus beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. (Quelle: ap)

Franziskus beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. (Quelle: ap)

Lauter Schrei im Schweigen

Es dürfte wohl einer der schwersten Wege gewesen sein, den Papst Franziskus in seinem Pontifikat gegangen ist. Allein durchschritt er am Morgen das Tor zum Lager in Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“. Rund 1,1 Millionen Menschen wurden in dem ehemaligen deutschen Konzentrationslager getötet. Anders als seine beiden Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. entschied sich Franziskus zu schweigen. Auch wollte er keine politische und kirchliche Prominenz dabei haben. Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ es sich dennoch nicht nehmen, den Papst dort zu begrüßen. Vor der Erschießungsmauer beim so genannten Todesblock 11 entzündete Franziskus ein Licht mit einer Kerze, die er von einem der ehemaligen Häftlinge erhalten hatte. Diese hatte er zuvor kurz begrüßt. Die Älteste von ihnen war die polnische Violinistin Helena Dunicz Niwinska. Sie wird am Samstag 101. Jahre alt. Mit dem Münchner Peter Rauch war auch ein Deutscher unter den Überlebenden des Lagers. Später traf er noch 25 „Gerechte unter den Völkern“.

Das Medieninteresse war groß an dem Ereignis. Franziskus hat mit seinem Besuch die Aufmerksamkeit auf die Gräueltaten von vor 70 Jahren gelenkt. Es ist ein Beitrag dazu, diese vor dem Vergessen zu bewahren. Mit seinem Schweigen machte er deutlich, dass selbst ein Papst angesichts des Ausmaßes an Menschenverachtung und Grausamkeit durch Schweigen viel sagen kann. Die Augen der Welt blicken mittels Fernsehliveübertragung mehrmals bis zu 15 Minuten lang auf einen Menschen, der still dasitzt und betet. Dazwischen sieht man immer wieder Stacheldraht, Baracken und das Einganstor mit dem zynischen Schriftzug. Ein lauter Schrei im Schweigen, Mahnung. Mit seinen Worten am Abend hat Franziskus schließlich eine Brücke ins Heute geschlagen in eine Welt, die voller Grausamkeiten steckt, großen und kleinen. Das bedeutet nicht, dass er die Ereignisse von vor 70 Jahren relativiert. Er mahnt an, sich an die Ereignisse von damals genau zu erinnern, damit sie sich nicht wiederholen. Dabei sieht Franziskus die Welt an einem kritischen Punkt, in dem eine Entwicklung eintreten könnte, die in neuem unsäglichem Leid enden könnte.

Thema Flüchtlinge beim Kreuzweg

Vor seinem kurzen Rückblick auf den Besuch in Auschwitz-Birkenau hatte Franziskus am Abend mit den Teilnehmern des Weltjugendtags den Kreuzweg gebetet und des Leidens und Sterbens Jesu Christi gedacht. Dabei stand einmal mehr das Thema Flüchtlinge im Mittelpunkt der Texte und auch Franziskus griff es in seiner Ansprache auf: „Heute Abend umfasst Jesus – und wir mit ihm – mit besonderer Liebe unsere syrischen Brüder und Schwestern, die vor dem Krieg geflohen sind. Wir grüßen sie und nehmen sie mit geschwisterlicher Liebe und mit Sympathie auf.“ Er mahnte die Jugendlichen, dass die richtige Haltung die des Dienstes sei. „Mit der Aufnahme des Ausgegrenzten, der leiblich verwundet ist, und mit der Aufnahme des Sünders, der seelisch verwundet ist, steht unsere Glaubwürdigkeit als Christen auf dem Spiel.“ Das Thema Flüchtlinge spielte in den vergangenen Tagen auch immer wieder bei den Katechesen eine Rolle. „Schaffen wir das wirklich? Und wie können wir das schaffen?“ Diese Fragen waren immer wieder zu hören. Wenn es nach Franziskus geht, ist die Antwort klar. Sie würde lauten: „Wir müssen das schaffen!“ Denn er sieht darin den Grundauftrag der Christen. Ob er die breite Masse der Jugendlichen wird überzeugen können, muss sich erst noch zeigen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

6 Kommentare

  • Silberdistel
    30.07.2016, 1:53 Uhr.

    Ob der Mensch überhaupt in der Lage ist aus der mittlerweile doch langen Aufzeichnung seiner Geschichte – auch postum der gepriesenen Aufklärung – was zu lernen, darf Stand heutiger Dinge getrost in Frage gestellt werden. Man blicke allein nur auf dieses letzte Jahrhundert, das Ihm die industrielle Massentötung nicht nur in Kriegen mit den von Ihm, dank seiner „Intelligenz“ erdachten Maschinen und Produkten, ermöglichte.
    Die Hoffnung auf die globale Friedensdividende nach dem Fall des eisernen Vorhangs zwischen den atomwaffenstrotzenden Machtblöcken hat sich nun endgültig zerstoben, ist zahlreichen Kleinkriegen und Spannungen gewichen.

    Also irgendwer muss das mit dem Mensch als „Ebenbild Gottes“ irgendwann mal gründlichst missverstanden haben. Seine Taten sind seine Zeugen und schade das seine millionenfachen Opfer keine Stimme mehr haben. Es würde sonst vermutlich ziemlich laut werden.
    Eine wahrhaftiges Ebenbild würde sich nach so vielen Desastern wohl so langsam mal um die Erforschung und Etablierung einer richtigen Friedenskultur, und zwar mit Nachdruck, bemühen.

    • Wanda
      30.07.2016, 17:30 Uhr.

      Silberdistel 1:53
      – In der Tat gruselig: wenn also im Umkehrschluss Gott dann logischerweise auch des Menschen Ebenbild sein müsste, wird mir ganz flau im Magen…

  • Alberto Knox
    30.07.2016, 15:28 Uhr.

    dass die polnische regierung zwar eine christlichen anschein vor sich herschiebt, aber nicht im geringsten christlich handelt, wird in der flüchtlingsfrage mehr als deutlich (gott, bin ich froh, dass unsere bundeskanzlerin so besonnen ist und eben nicht auf das dumme geschwätz noch dümmerer leute hereinfällt, die meinen terrorismus aus dem orient habe mit der flüchtlingsfrage zu tun); dass dieser regierung aber so geschmacklos ist, sich zu platzieren, wenn der papst sagt, er wolle keine politiker um sich haben in auschwitz, schlägt dem fass den boden aus. pfui teufel! jesus würde sich schämen für diese regierung.

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