Vatikan will mehr Kontrolle von Bewegungen

Es waren heute etwas ungewöhnliche Töne im vatikanischen Presseamt. Das gilt zumindest für diejenigen, die dachten, unter Papst Franziskus herrscht allgemeine Laissez-Faire-Stimmung im Vatikan. Das ist nicht der Fall. Charismatischen Bewegungen hat die Glaubenskongregation unter Leitung von Kardinal Gerhard Müller heute die Grenzen aufgezeigt. Im Vatikan wurde ein Papier vorgestellt, das die „Beziehung zwischen hierarchischen und charismatischen Gaben“ in der Kirche regeln soll. Und kurz gesagt gilt: Hierarchische und charismatische Gaben widersprechen sich nach Ansicht Müllers nicht; aber am Ende sitzt die Hierarchie am längeren Hebel. Charismatische Bewegungen müssten sich Priestern und Bischöfen unterordnen. Sie müssten die „Autorität der Hirten der Kirche als wesentlichen Bestandteil des christlichen Lebens anerkennen“ und dürften sich nicht „jenseits des Lehramts und der kirchlichen Gemeinschaft bewegen“. In dieser Positionierung beruft sich das Papier immer wieder auf Papst Johannes Paul II., der als großer Unterstützer neuer geistlicher Bewegungen galt. Es zeigt damit aber auch, das Ringen um die Integration der neuen Aufbrüche in die kirchliche Gemeinschaft ist nicht neu.

Papst Franziskus spricht hier nicht über die Bewegungen, sondern kritisiert beim Besuch der Welternährungsprogramms PAM gestern die Kommerzialisierung von Lebensmitteln. (Quelle: ap)

Papst Franziskus spricht hier nicht über die Bewegungen, sondern kritisiert beim Besuch des Welternährungsprogramms WFP gestern die Kommerzialisierung von Lebensmitteln. (Quelle: ap)

Warum jetzt dieses Papier?

Die Frage ist allerdings, warum der Vatikan gerade jetzt eine neue Instruktion, so der Fachterminus für das heutige 20-Seiten umfassende Papier, veröffentlicht. Es gibt keinen aktuellen Anlass; zumindest ist nichts bekannt. Was es gibt, ist das beständige Ringen zwischen geistlichen Bewegungen und Bischöfen oder Priestern vor Ort um die Zusammenarbeit. Immer wieder gibt es Klagen, einzelne neue geistliche Bewegungen sprengten Pfarreien und bauten Parallelgemeinschaften auf. Ob das neue Papier allerdings bei konkreten Schwierigkeiten in einer Pfarrei oder Diözese hilft, ist fraglich. Immerhin stellt Kardinal Müller mit Billigung des Papstes fest: Die Bewegungen müssen sich der Hierarchie unterordnen. Ansonsten bleibt es in den Formulierungen doch eher allgemein. Auch lässt es viel von der sehr konkreten und gut verständlichen Sprache von papst Franziskus vermissen. Es erinnert eher an ein Behördenpapier – was es natürlich streng genommen als Instruktion auch ist.

Interessant ist ein kleiner Hinweis auf Ordensgemeinschaften. Deren „Exemtion“, also die Eigenständigkeit als Orden gegenüber der Ortsbischöfe o.ä., bedeute „nicht eine abstrakte Überörtlichkeit oder eine falsch verstandene Autonomie“. Damit ist klar, dass es nicht nur um die neuen geistlichen Bewegungen geht, die vor allem seit dem II. Vatikanischen Konzil in großer Zahl entstanden sind, sondern auch um die traditionellen Orden. Warum dann aber der Chef der vatikanischen Ordenskongregation, Kardinal Joao Braz de Avis, nicht an der Vorstellung des Papiers beteiligt war, sondern neben Kardinal Müller der Chef der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, bleibt ein Geheimnis. Immerhin setzte sich Braz de Avis demonstrativ ins Publikum bei der Vorstellung heute im vatikanischen Pressesaal. Erinnerungen an die Verfahren gegen die US-Frauenorden werden wieder wach. Damals gab es durchaus Unstimmigkeiten zwischen der Glaubenskongregation und der Ordenskongregation.

Das neue Papier setzt kein neues Recht. Es versucht Zuständigkeiten zu klären und erinnert die bisweilen sehr selbstbewusst auftretenden neuen Bewegungen daran, dass sie sich in das Gesamt der Kirche einzufügen haben.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

19 Kommentare

  • Silvia
    14.06.2016, 21:59 Uhr.

    „Auch lässt es viel von der sehr konkreten und gut verständlichen Sprache von papst Franziskus vermissen.“

    Das ist ja wohl ein Witz! Noch kein Papst (ich bin unter Pius XII. geboren) hat sich weniger konkret und damit letztlich unverständlicher ausgefrückt als Papst Franziskus.

    JPII hat ja einige neue, recht obskure Orden und jede Menge neue Geistliche Bewegungen/ Gemeinschaften gefördert.

    Früher gab es in der rk Kirche keine sich abkapselnden, sektiererischen Grüppchen und deshalb ist es gut, dass diesem Wildwuchs mal „von Rom“ aus entgegen getreten wird.

    Eine Kirche, ein Glaube und keine Sonderwege!

    • Silvia
      14.06.2016, 22:00 Uhr.

      P.S.: Hoffentlich kümmert sich der Glaubenspräfekt auch um eventuelle Einigungsbemühungen mit der Piusbruderschaft.

  • Novalis
    15.06.2016, 0:40 Uhr.

    Die Zusammenfassung von Herrn Erbacher triffts: Ein Behördenpapier mit Grenzen. Davon abgesehen aber eben mit einem wichtigen Inhalt: Charisma gibt es in der Kirche nicht gegen Papst und Bischöfe. Das ist gut so. Wenn man bedenkt, welches Unwesen einige (nicht alle!) „neuen geistlichen Bewegungen“ getrieben haben, ist eine solche Instruktion mehr als gut.
    Ich denke hier an das unheilvolle Wirken des Engelwerkes. Oder an das Neukatechumenat, das ganze Pfarreien gespalten hat.
    Dass der Ordensmann Franziskus nicht in dem Umfang wie Paul VI. oder Johannes Paul II. auf die movimenti setzt ist verständlich. Und ich finde das gut!

    • Wanda
      15.06.2016, 17:41 Uhr.

      Novalis 0:40
      – Pardon, dass ich nochmal nachfrage: Sie hatten im vorherigen Blog behauptet, das Neue Testament legitimierte die Sklaverei. Würden Sie uns bitte aufklären wo das steht ?

      • Alberto Knox
        17.06.2016, 16:36 Uhr.

        ohne @novalis vorgreifen zu wollen:
        „Diese Anweisungen aus der zweiten oder dritten urchristlichen Generation spiegeln die Interessen der Freien und legitimieren sie mit dem Glauben an Jesus Christus. ‚Das Ideal der Aufhebung aller Unterschiede zwischen Sklaven und Freien, Juden und Griechen sowie Mann und Frau, das sich in der von Paulus zitierten Taufformel findet, scheint einfach ignoriert worden zu sein‘ (Martin, 2007, 268). Einheit im Glauben brachte also letztlich keine egalitären urchristlichen Sozialgemeinschaften hervor (vgl. aber das Idealbild in Apg 4,32-37). Im Gegenteil: Die positive Konnotierung des Metaphernfeldes ‚Sklaverei‘ im Blick auf Jesus Christus (s.u. 3.) konnten freie Christen und Christinnen dahingehend funktionalisieren, dass die Untergebenheit der (christlichen) Sklavinnen und Sklaven auch christologisch festgeschrieben wurde“ (bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/sklaverei-nt/ch/a186339bebe51f350e6907a55d2653c1/).

  • Silberdistel
    15.06.2016, 8:28 Uhr.

    Franziskus Rede über die Kommerzialisierung von Lebensmitteln ist jedenfalls um einiges wichtiger als dieses bedruckte Papier aus dem Offizium, das wahrscheinlich morgen schon wieder in den Annalen verschwunden sein wird. Fällt wohl unter „vatikanisches Sommerloch“.
    Der Rede vor dem WFP hätte jedenfalls eine bessere Aufmachung verdient als nur ein link. Vielleicht erfahren wir ja noch etwas mehr darüber, hier in der sonst gewohnten 1. Reihe?

  • bernardo
    15.06.2016, 10:45 Uhr.

    @ Wrightflyer: Hmm, Sie beklagen (meiner Ansicht nach zu recht) den Hass im Blog. Aber wie würden Sie Ihre Haltung gegenüber den Orthodoxen beschreiben? Hass, Verachtung, mangelnde Wertschätzung?

    @ Novalis: Warum waren denn Paul VI. und JP II. für die geistlichen Bewegungen? Weil sie von den Orden enttäuscht waren, vor allem von dem Orden, dem Franziskus angehört.

    @ Silvia: Das mit der Sprache von Franziskus sehe ich wie sie, liebe Silvia. Man nannte einst Brandt wegen seiner wolkigen Ausdrucksweise – die er mit Kohl teilte, aber nicht mit Schmidt und Strauß – „Willie Wolke“. Vielleicht könnte man heute von „Frankie Wolke“ sprechen . 🙂

  • Silvia
    15.06.2016, 16:15 Uhr.

    Wrightflyer
    14.06.2016, 22:07 Uhr.

    Das mit Maria – Magdalena ist mir bekannt, wird aber wohl unter den Katholiken genauso wenig zur Kenntnis genommen werden wie ihre Rehabilitierung durch Paul VI, weil zu wenig bekannt.

    Deshalb sagte unser Vikar – leider völlig zu Recht – dass Maria Magdalena ihren Ruf als Sünderin (hier gleichbedeutend mit Prostituierte oder Ehebrecherin) nicht mehr los werden wird.

    Dieses Bild, von der Kirche eifrig verbreitet, hat sich in den Köpfen der Menschen gar zu fest gesetzt.

    Das ist wie mit einer verleumderischen Schlagzeile und deren Widerruf irgendwo auf der vorletzten Seite der Zeitung in einem klein gedruckten Sätzchen. Letzteres liest kaum jemand.

    Und wie heißt es so schön: Etwas bleibt immer hängen.

    Übrigens interessieren sich die meisten Frauen in der Kirche, wie ich festgestellt habe, auch gar nicht für eine Rehabilitierung von Maria Magdalena.

    • Wanda
      15.06.2016, 18:27 Uhr.

      Silvia 16:15
      – Sie haben Recht: merkwürdigerweise sind sich die Frauen selbst ihre schwächste Lobby….
      Ist das nun ein Erbe oder Langzeiteffekt ihrer seit Beginn zweitrangigen bzw. minderwertigen Rolle (die Frau ist ein missglückter Mann), die ihnen besonders von Kirchenlehrern wie Hieronimus, Augustinus und Thomas von Aquin zugewiesen und dabei z.T. ganz abenteuerlich begründet wurde ?
      Diesen weisen Kirchenvätern zufolge hätte Gott also bei der Erschaffung der Frau geschlampt, oder ?

      • Silvia
        15.06.2016, 23:30 Uhr.

        Wanda
        15.06.2016, 18:27 Uhr.

        Das erlebt man aber nicht nur in der rk Kirche, obwohl dort vor allem Frauen gegen Diakoninnen und Priesterinnen sind.

        Frauen geben immer wieder Frauen die Schuld, wenn sie sexuell belästigt oder vergewaltigt werden und das schon lange, bevor wir dieses Problem mit Migranten hatten. Oft sind es sogar Frauen, die sich ausgesprochen modern geben (nein, ich meine niemanden hier im Blog!).

        Frauen scheinen sich gegenseitig mehrheitlich als Konkurrentinnen zu erleben, um die Gunst der Männer und generell.

        Sogar Frauen in therapeutischen Berufen fallen ihren Patientinnen, wenn es um sexuelle Belästigung oder Schlimmeres geht, manchmal in den Rücken.

        Nicht alle Frauen ticken so, aber viele solidarisieren sich mit denjenigen, die sie für die Starken halten, und das sind nicht die Opfer sondern die Täter.

        Frauen sind auch manchmal Komplizinnen von Sexualstraftätern, sowohl, wenn es um Straftaten an anderen Frauen als auch an Kindern geht.

        Manche Mütter schauen sogar bewusst weg, wenn ihre eigenen Kinder missbraucht werden.

        Der Grund für dieses Verhalten würde mich allerdings auch sehr interessieren.

  • Silvia
    20.06.2016, 0:18 Uhr.

    Wrightflyer
    17.06.2016, 21:37 Uhr.

    Wir sprechen hier aber nicht über die Kirchengeschichte sondern über das Heute.

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