Papst in Mexiko – Tag 4

„Ihr habt uns viel zu lehren!“ So lautete die Botschaft von Papst Franziskus an die Indigenen. Der dritte Tag seiner Mexikoreise stand ganz im Zeichen der Ureinwohner. Das Kirchenoberhaupt reiste dazu in den Süden des Landes in die Region Chiapas. Er kritisierte, dass die Völker „oftmals systematisch und strukturell verkannt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden“ sind. „Wie gut täte uns allen, Gewissenserforschung zu halten und zu lernen, um Verzeihung zu bitten! Verzeiht Brüder und Schwestern!“ Franziskus selbst hatte bereits bei seinem Besuch in Bolivien im Juli vergangenen Jahres die Indigenen des Kontinents um Vergebung für das Verhalten der Kirche gebeten. Die Menschen begrüßten Franziskus mit Sprechchören: „Willkommen Papst des Friedens. Willkommen Papst der Freiheit. Willkommen Papst der Gerechtigkeit. Willkommen Papst des Kampfes.“ Franziskus unterzeichnete am Ende des Gottesdienstes ein Dekret, durch das künftig indigene Sprachen in der Liturgie auch offiziell verwendet werden dürfen. Am Ende des Gottesdienstes wurden dem Papst zwei Bibelübersetzungen in verschiedenen indigenen Sprachen überreicht.

Mit 100.000 Menschen feiert Franziskus einen Gottesdienst in San Cristobal de las Casas. (Quelle: Erbacher)

Mit 100.000 Menschen feiert Franziskus einen Gottesdienst in San Cristobal de las Casas. (Quelle: Erbacher)

Es ist Zeit, um Vergebung zu bitten!

Franziskus bleibt sich treu. Im Gottesdienst mit den Indigenen in Chiapas prangerte er den Umgang mit den Urvölkern Amerikas an. „Einige haben eure Werte, eure Kultur und eure Tradition für minderwertig gehalten. Andere haben – gleichsam trunken von Macht, Geld und den Gesetzen des Marktes – euch eures Bodens beraubt oder ihn durch ihr Handeln verseucht.“ Franziskus unterstrich das Recht jedes Volkes auf Freiheit. Den Völkern sei „die Sehnsucht nach einem Land, nach einer Zeit eingemeißelt, wo die Geringschätzung überwunden ist durch die Geschwisterlichkeit, die Ungerechtigkeit besiegt durch die Solidarität und die Gewalt zum Schweigen gebracht ist durch den Frieden“.

Auf die Rolle der Kirche ging Franziskus bei seiner Vergebungsbitte heute nicht eigens ein. Vergangenen Juli hatte er bei einer Begegnung mit der Volksbewegungen in Bolivien gesagt: „Wie Johannes Paul II. bitte ich, dass die Kirche – ich zitiere – ‚vor Gott niederkniet und von ihm Vergebung für die Sünden ihrer Kinder aus Vergangenheit und Gegenwart erfleht‘. Ich will Ihnen sagen – und ich möchte dabei ganz freimütig sein, wie es der heilige Johannes Paul II. war: Ich bitte demütig um Vergebung, nicht nur für die von der eigenen Kirche begangenen Sünden, sondern für die Verbrechen gegen die Urbevölkerungen während der sogenannten Eroberung Amerikas.“

Vor allem im Umgang mit der Natur hätten die Indigenen der Welt viel zu geben, so Franziskus. Er kritisierte den unverantwortlichen Gebrauch und den Missbrauch der Schöpfung. Angesichts der größten Umweltkrise der Geschichte dürften sich die Menschen „nicht mehr taub stellen“. Die indigenen Völker verstünden, in einer harmonischen Beziehung zur Natur zu leben, so Franziskus. Zum Mittagessen traf sich der Papst mit einer kleinen Gruppe Indigener. Anschließend besuchte er die Kathedrale von San Cristobal de las Casas, wo das Grab von Bischof Samuel Ruiz Garcia (1924-2011) ist.

Franziskus auf den Spuren von Bischof Ruiz Garcia

Ruiz war von 1960 bis 2000 Bischof in San Cristobal des las Casas. Er ist eine Symbolfigur für den Einsatz für die indigene Bevölkerung in Lateinamerika. Als Ruiz 1960 im Hochland des Bundestaats Chiapas im Südosten Mexikos Bischof wurde, durften Indigene in den Städten nicht die öffentlichen Parkbänke benutzen. Der Mindestlohn für sie betrug nur ein Bruchteil des Lohns für die weiße Bevölkerung. Ruiz Garcia, der ein Sprachengenie war, lernte schnell mehrere indigene Sprachen, so dass die Ureinwohner Vertrauen zu ihm fassten. Er erkannte schnell die ungerechten Verhältnisse und verschrieb sich dem Kampf für die Unterdrückten. Er war auch Mitglied und zeitweise Vorsitzender der „nationalen Vermittlungskommission“, die nach dem Aufstand für die Rechte der Indigenen in Chiapas zwischen der Zapatisten-Guerilla EZLN und der mexikanischen Regierung verhandelte. Dem Vatikan missfiel das Engagement des Bischofs und legte ihm Anfang der 1990er Jahre den Rücktritt nahe. Nachdem Ruiz Garcia das ablehnte, stellte ihm Rom einen Koadjutor zur Seite. Auch wenn sich später das Verhältnis zwischen der Amtskirche und Ruiz Garcia wieder entspannte, dürfte erst der heutige Besuch von Franziskus an seinem Grab eine endgültige Rehabilitierung bedeuten.

Für viele Menschen in Chiapas ist Ruiz Garcia noch heute eine große Hoffnungsfigur, wie auch der Papst. Die Menschen riefen heute vor dem Gottesdienst: „Das Volk geht mit Tatic [Tzotzil: Vater] Samuel und Tatic Franziskus.“ Für den Papst dürfte der ehemalige Bischof von San Cristobal de las Casas ein Beispiel dafür sein, wie er sich Bischöfe vorstellt. Ein anderer Slogan lautete heute: „Willkommen Papst, der die Bischöfe und Priester an der Seite der Armen will!“

Papst gegen ideologische Kolonisierung

Am Nachmittag stand eine Begegnung mit Familien im Sportstadion in der Stadt Tuxtla Guttiérrez auf dem Programm. Wie bei solchen Veranstaltungen gab es auch dieses Mal Zeugnisse von Familien. Erstmals war darunter auch ein Paar, das geschieden und wiederverheiratet ist. Sie beschrieben ihren Lebensweg und ihre Arbeit in einer Gruppe von wiederverheirateten Geschiedenen. Sie betonten allerdings auch, dass sie nicht die Kommunion empfangen. Franziskus fordert dabei eine familienfreundliche Politik. Es brauche Gesetze, „die ein Existenzminimum schützen und gewährleisten, damit jede Familie und jeder Mensch sich durch Bildung und eine würdige Arbeit entfalten kann“. Nichts anderes will die Befreiungstheologie. Gerechte Strukturen und Gesetze, Zugang zur Bildung, damit die Menschen ein Leben in Würde aufbauen können. Daneben brauche es aber auch persönliches Engagement, so der Papst. Er warnte davor, der Versuchung zu erliegen, sich abzukapseln. „Diese Haltung zerfrisst unsere Seele wie eine Motte.“ Einsamkeit und Isolierung führten allerdings zu Unsicherheit. Gesetze und persönliches Engagement seien „ein gutes Binom, um die Spirale der Unsicherheit zu unterbrechen“, zeigte sich Franziskus überzeugt.

Auch bei diesem Treffen fand Franziskus deutliche Worte und forderte die Familien auf, realistisch zu bleiben. Auch wenn in der Öffentlichkeit immer heile Familienbilder suggeriert werden. Analog zu seinem Bild der verbeulten Kirche stellt er fest: „Mir ist eine verwundete Familie, die alle Tage versucht, die Liebe in all ihren Formen und Zeiten auszudrücken, lieber als eine Gesellschaft, die an Zurückgezogenheit krankt und an der Bequemlichkeit, die sich davor fürchtet, zu lieben. Mir ist eine Familie, die ein ums andere Mal versucht, wieder neu zu beginnen, lieber als eine narzisstische und auf Luxus und Komfort versessene Gesellschaft. Mir ist eine Familie mit einem von der Hingabe ermüdeten Gesicht lieber als geschminkte Gesichter, die nichts wissen von Zärtlichkeit und Mitgefühl.“ Er verband diese Gedanken mit einem seiner Lieblingsthemen: der ideologischen Kolonisierung. Medien und säkulare Gesellschaft propagierten unter dem Deckmantel der Moderne, der Freiheit und des Säkularismus Familienmodelle und setzten damit diejenigen unter Druck, die nach einem traditionellen Familienmodell leben wollen und dies auch in der Öffentlichkeit vertreten.

Solche Worte aus dem Mund eines Papstes hört man nicht alle Tage. Und wenige Wochen vor der Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens zu Ehe und Familie bekommen diese Sätze natürlich auch ein besonderes Gewicht. Franziskus wird sich mit seinem Dokument an den eigenen Worten messen lassen müssen.

P.S. 2014 hatte Franziskus bereits eine Tradition des Bistums hier in Chiapas wieder zugelassen, die unter Johannes Paul II. im Jahr 2000 gestoppt worden war: die Weihe von verheirateten Männern zu Diakonen. Bischof Ruiz Garcia hatte diese Tradition begründet, nachdem er die Ausbildung von tausenden Katecheten betrieben hatte; sich aber von diesen niemand für das Priestertum entschieden hatte.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

14 Kommentare

  • Silberdistel
    16.02.2016, 12:55 Uhr.

    Dann wäre es ein Zeichen tätiger Reue das s.g. „Blutgold“, das allerdings auch aus einem erklecklichen Silberschatz besteht, den Nachkommen der indigenen Völker wieder zurück zu geben. Der vatikanische soll bis heute der zweitgrößte Goldschatz nach dem der USA sein.

    Wenn die Befreiungstheologie auf das „Recht auf Bildung“ reduziert wird, so ist das schlichtweg eine Verkürzung der Wahrheit. Das Primärziel war selbstverständlich immer ein Anteil vom Land der (übrigens ebenfalls meist katholischen) Großgrundbesitzer für den Anbau und so zur Existenzsicherung bereits im Diesseits zu bekommen. Denn ausschließlich von Bildung wird nunmal kein Magen satt und auch nicht alle mögen bis auf die Erlösung aus der irdischen Not im Jenseits warten.

  • JasJu
    16.02.2016, 14:35 Uhr.

    Ein weiterer peinlicher Bergoglio-Auftritt. Diese fast pathologischen Entschuldigungs-Orgien zeigen, daß er nicht zwischen der Heiligkeit der Kirche und der Fehlbarkeit ihrer Glieder unterscheiden kann. Und die Ehrung eines renitenten Bischofs, der den Zölibat abschaffen wollte und keinerlei Probleme mit Linksextremisten hatte, zeigt weiter, wohin die Reise geht. Aber jene, die jetzt frech ihr Haupt erheben und die Kirchen“zerbeulung“ von oben bejubeln, werden schon bald heulen und mit den Zähnen klappern.

    • Alberto Knox
      16.02.2016, 23:33 Uhr.

      die hölle haben sich leute ausgedacht, die gern andere dort hineinwünschen, aber genau deswegen selber dort landen, weil sie sich im grunde nichts sehnlicher wünschen. da hatte freund schon recht – religion kann eine neurose sein.

  • Wanda
    19.02.2016, 1:45 Uhr.

    Silberdistel 18:49
    Silberdistel 18:49
    – natürlich haben Sie Recht, dass die Amtskirche und ihre Repräsentanten und auch das gläubige Fussvolk in seinen Auseinandersetzungen untereinander (man denke an die Konfessionen) oft und schlimm fernab von der eigentlichen Lehre des Nazareners handelten.
    Auch, dass es trotzdem Unbeirrbare gab und bestimmt auch noch gibt, die unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile oder gar Lebensgefahr zu ihrer Überzeugung stehen. Diese sind keine exklusive Erscheinung des Christentums, wir finden wir in allen Religionen und Weltanschauungen. Vorbildlich, aber wohl nicht zeitgemäss…

  • bernardo
    19.02.2016, 12:47 Uhr.

    Eine Entschuldigungsbitte war richtig, aber man muss sie nicht permanent wiederholen. […]*
    Was die Indios angeht: Weder sollte man die Geschichte und Kultur der Indios idealisieren („edle Wilde“) noch die brutalen Methoden der Spanier (und Portugiesen) mit ihren Requierimientos und dem bis ins 19. Jahrhundert betriebenen Sklavenhandel aus Afrika beschönigen.
    *editiert wegen Verstosses gegen die Netiquette

    • Wanda
      22.02.2016, 16:57 Uhr.

      – eine Entschuldigung ist zu wenig. Da ist Wiedergutmachung gefordert, wie man sie weltlichen Übeltätern auch und zu Recht abverlangt…

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