Marx: Vorsitzender im zweiten Anlauf

Es war spannend und am Ende doch zu erwarten: Kardinal Reinhard Marx ist der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. 2008 musste er noch dem Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch den Vortritt lassen. Marx war damals gerade erst neuer Erzbischof in München geworden.  Jetzt, 2014, war seine Zeit reif. Verbunden mit seinen römischen Aufgaben ist er der wohl mächtigste Vorsitzende, den die Bischofskonferenz je hatte.  Auch wenn er in seinem ersten Statement betonte, dass der Vorsitzende nicht der „Papst von Deutschland“ sei. Übrigens ist ja auch der Papst in Rom vor einem Jahr erst im zweiten Anlauf ins Amt gekommen. Jorge Mario Bergoglio hatte im Konklave 2005 hinter Joseph Ratzinger die zweitmeisten Stimmen. 2013 war dann seine Stunde gekommen.

Die Fülle der Ämter

Jetzt ist die Stunde von Reinhard Marx. Der ist bereits Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz, Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen in der EU, Mitglied im Kardinalsrat und seit vergangenen Samstag Moderator des neuen vatikanischen Wirtschaftsrats. Nicht zu vergessen ist er ja im „Hauptberuf“ Erzbischof von München und Freising. Für ihn scheint diese Ämterhäufung, die im Vorfeld der Wahl oft als Gegenargument gegen ihn bekannt wurde, kein Problem zu sein. Er kündigte an, dass er in den nächsten Tagen überlegen werde, wie er sich organisieren will. Er hatte auch schon einmal angedeutet, dass er eventuell den Posten in Brüssel aufgeben werde, sollte er zum DBK-Vorsitzenden gewählt werden. Er sei kein Jäger und Sammler, so Marx nach der Wahl.

Vier Wahlgänge brauchte Marx ins Amt. Es reichte die absolute Mehrheit der 63 Stimmen. Anders als im Vorfeld erwartet, war der stärkste Gegenkandidat nicht der Osnabrücker Bischof Franz Josef Bode sondern der Münsteraner Felix Genn. Bode wurde unter anderem vom langjährigen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann unterstützt. Dem Vernehmen nach war Bode früh aus dem Rennen. Das überraschte doch viele Beobachter hier in Münster. Ob es auch an dem Papier zum Thema wiederverheiratete Geschiedene liegt, das eine kleine Gruppe von Bischöfen unter Bodes Leitung erarbeitet hat? In dem Papier geht es umfassend um Ehe und Familie. Obwohl es wohl auf der Linie des Ansatzes von Kardinal Walter Kasper liegt, wurde es hier in Münster kontrovers diskutiert. „Das kann so nicht durchgehen“, war am Rande zu hören.

Mann für die Medien

Am Ende ist es dann doch eine ganze Reihe von Gründen, die sich wie ein Mosaik zusammenfügen und zur Wahl des Münchner Erzbischofs geführt haben. Viele Bischöfe wollten einen Mann, der die Positionen der Kirche in der Öffentlichkeit gut vertreten kann. Da fühlten sie sich vom ehemaligen Vorsitzenden hin und wieder schlecht vertreten. So kam etwa Kritik auf, dass Zollitsch 2010 beim Aufkommen des Missbrauchsskandals am Anfang nur zögerlich reagierte. Marx schien ihnen nun der richtige Mann für eine positive Präsentation in Gesellschaft und Medien. Entsprechend war seine Predigt heute Morgen bei der Frühmesse im Münsteraner Dom wohl doch eine Bewerbungsrede. Der 60-Jährige forderte dazu auf, die Angst zu überwinden, Mut zu haben sowie mit Entschiedenheit und Freude die christliche Botschaft in die Gesellschaft einzubringen.

Auch die vatikanischen Ämter schienen einigen dann weniger ein Hinderungsgrund als vielmehr ein Argument für den westfälischen Bayern. Einen so engen Vertrauten des Papstes habe man doch nicht übergehen können, ist auf den Fluren des Münsteraner Priesterseminars zu hören. Wenn man die internationalen Reaktionen anschaut, liegen sie da wohl richtig. „Der Bergoglianer Marx neuer Präsident der deutschen Bischöfe“ titelt „Wall Street Italien“. Marx nicht zum Vorsitzenden zu machen, hätte in Rom zumindest Fragen provoziert.

Konservativ oder liberal?

Marx ist sozialethisch profiliert, ein Vertreter der sozialen Marktwirtschaft. Wenn es um kirchliche Lehrfragen geht, gilt er als konservativ. Allerdings zeigt gerade seine klare Positionierung bei der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen, wo er die Kasper-Linie vertritt, dass er nicht so einfach in die konservative Schublade passt. Das machte ihn auch für ein breites Spektrum wählbar. Marx gehört zu den Kirchenvertretern, die sich bewusst sind, „dass es so nicht weitergehen kann“. Was allerdings konkret verändert werden muss und in welche Richtung, darauf geben diese Vertreter keine konkreten Antworten; so auch Marx. Allerdings dürfte er ein Vertreter sein, der im Dialog nach Antworten auf diese Fragen suchen wird. Daher betonte er in den letzten Tagen mehrfach, wie wichtig der Gesprächsprozess ist, den die Deutsche Bischofskonferenz 2011 gestartet hat als Reaktion auf den massiven Vertrauensverlust durch den Missbrauchsskandal. Marx ist neben dem bisherigen Vorsitzenden Zollitsch und den Bischöfen Bode und Overbeck im Lenkungskreis des Gesprächsprozesses.

Dass Marx erst im vierten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt wurde, dürfte allerdings auch eine klare Botschaft seiner Mitbrüder gewesen sein. Auf die Dominanz von Marx angesprochen betonten gleich mehrere Bischöfe im Anschluss an die Wahl im Gespräch mit Journalisten, dass der Vorsitzende ein Moderator sei und jeder Bischof für sein Bistum verantwortlich sei. Hineinregieren will sich da keiner lassen. Trotzdem ist ihnen bewusst, dass sie mit dem Münchner Erzbischof einen Mann der klaren Worte gewählt haben. Da wird so mancher Bischof in den nächsten Jahren auch Einiges schlucken müssen. Andererseits hilft vielleicht das klare Wort und seine Position als Vertrauter des Papstes auch, in Rom die deutschen Positionen besser vertreten zu können, als dies etwa ein Bischof Bode hätte tun können. Um z.B. mit dem Präfekten der Glaubenskongregation um den Weg bei wiederverheirateten Geschiedenen streiten zu können, ist es gut, ebenfalls Kardinal zu sein.

Generationenwechsel

Mit der Wahl von Marx zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz dürfte endgültig der Generationenwechsel in der Bischofskonferenz vollzogen sein. Kardinal Joachim Meisner war schon nicht mehr in Münster dabei. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen ist nur noch wenige Tage im Amt. Erzbischof Zollitsch wird im Laufe des Jahres endgültig in Ruhestand gehen. Kardinal Lehmann ist dann mit seinen immerhin auch schon 77 Jahren der letzte Vertreter der alten Garde. Die Jungen übernehmen das Ruder und müssen jetzt ihren ganz eigenen Kurs finden – begleitet vom frischen Wind, der aus Rom seit einem Jahr kommt.

Dort jährt sich übrigens morgen zum ersten Mal die Wahl von Papst Franziskus. Jorge Mario Bergoglio hat es ebenfalls erst im zweiten Anlauf geschafft. Im Konklave 2005 war er der Kandidat mit den meisten Stimmen nach Joseph Ratzinger gewesen; musste diesem aber den Vortritt lassen. 2013 hatte er dann Erfolg. Kardinal Marx arbeitet eng mit Franziskus zusammen; er ist auch begeistert von dem „neuen“ Papst. Vielleicht tritt nach dem Franziskus-Effekt in Rom jetzt auch ein „Marx-Effekt“ in Deutschland ein. Ob er das schafft? Der Kirche in Deutschland wäre es zu wünschen.

P.S. Die ganz jungen Bischöfe, die in den letzten Tagen ebenfalls als Favoriten gehandelt wurden, konnten sich heute übrigens entspannt zurücklehnen. Wenn Marx zwei Amtszeiten macht, sind Bischof Stephan Ackermann aus Trier 62 Jahre alt und Bischof Franz Josef Overbeck aus Essen 61. Wer weiß, wo sie dann als Bischöfe tätig sind. Für eine doppelte Amstzeit als Vorsitzender reicht es dann für einen von beiden noch immer.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.