Werben statt befehlen

Muss die Kirche eine neue Sprache und eine neue Haltung lernen? Vieles spricht dafür. Darauf wies heute der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, zum Auftakt der Herbstvollversammlung des obersten katholischen Laiengremiums in Deutschland hin. „Wer die Entwicklungen in Gesellschaft und Politik beeinflussen will, kann nicht mehr einfach Gehorsam und Gefolgschaft verlangen“, erklärte Glück. Die Christen müssten vielmehr für ihre Positionen „werben und überzeugen“. Diese neue Haltung ist notwendig, weil die Kirchen massiv an Einfluss auf die Lebensgestaltung der Menschen sowie die Gestaltung der Gesellschaft verloren hätten. „Der Verlust dieser Art von Macht ist die Chance der Kirche, ihren Weg auch als hörende und dienende Kirche zu finden.“

Alois Glück - der alte und neue Präsident des ZdK (dpa)

Die Worte Glücks erinnern doch sehr an Papst Franziskus, der etwa die Zeit autoritärer Entscheidung als vorüber bezeichnete. Glück fuhr in seinem Eröffnungsreferat fort: „Selbstgerechte Demonstrationen der eigenen hohen Moral mit entsprechender Anklage an alle Andersdenkenden überzeugen nicht, sie erzielen keine Wirkung. Dies verschärft sich noch, wenn die Beobachter den Eindruck gewinnen, dass auch noch menschliche Kälte gegenüber menschlichen Nöten im Spiel ist.“

In diesem Sinne forderte Glück auch einen anderen Umgang mit Geschiedenen. Er stellte sich ausdrücklich hinter den Entwurf der Freiburger Handreichung zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Der ZdK-Präsident verwies darauf, dass in dem Papier die Unauflöslichkeit der Ehe nicht aufgehoben werde. „Im Vordergrund steht hier aber nicht das lehramtliche Gesetz. Zuerst kommt die Zuwendung zu den Menschen, die Vermittlung der Liebe Gottes zu den Menschen. Das ist letztendlich wichtiger als eine Starrheit im Gesetz.“

Die katholische Kirche muss ihre neue Rolle in der Gesellschaft finden. Und das fällt ihr schwer. Das zeigt sich in den letzten Jahren immer wieder. Sie verliert Privilegien, die sie über lange Zeit hatte und wird zu einer gesellschaftlichen Gruppe wie viele andere. Dass dies aber eine Änderung von Haltung und Sprache gegenüber den Menschen, Gesellschaft und Politik erfordert, fällt den Kirchenoffiziellen wie auch vielen Mitgliedern oft schwer einzusehen. Die Menschen erwarten heute Transparenz und Offenheit, Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit, Ehrlichkeit und Authentizität von Anhängern einer Religion ganz gleich auf welcher Ebene.

P.S. Alois Glück (73) wurde übrigens mit überwältigender Mehrheit (177 von 182) wieder zum Präsidenten des ZdK gewählt. Der CSU-Politiker steht seit 2009 an der Spitze des Gremiums. Ebenfalls mit großer Mehrheit beschloss das ZdK heute, dass der 100. Deutsche Katholikentag im Mai 2016 in Lepzig stattfinden wird.

P.P.S. Was die Aufgabe von Privilegien angeht, sei nur an die Freiburger Rede von Papst Benedikt XVI. erinnert. Und weil hier in den letzten Tagen in den Kommentaren kritisiert wurde, dass sich auch die Kirche durchaus in streng kapitalistischer Manier am Wirtschaften beteiligt: Benedikt XVI. wäre der letzte gewesen, der das verteidigt hätte. Ganz im Gegenteil: auch er verurteilte ein solches Handeln zutiefst. Dass es ihm nicht gelungen ist, dies auch entsprechend in der Kirche umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt.

P.P.P.S. Es gibt wieder einmal Neues zum Papstinterview in der Zeitschrift LaRepubblica von Anfang Oktober. Der Autor, Eugenio Scalfari, hat jetzt bestätigt, dass er Teile des Interviews dem Papst in „den Mund gelegt habe“. Dadurch hätten die Leser besser verstehen sollen, was für ein Mensch Papst Franziskus ist. Zugleich betonte Scalfari, dass er vor der Publikation des „Interviews“ zweimal beim Sekretär des Papstes nachgefragt habe, ob Franziskus mit der vorgelegten Version einverstanden sei. Dies habe der Sekretär bejaht. Scalfari verteidigte sich zudem mit dem Hinweis, dass er seit 49 Jahren in diesem Stil arbeite, etwa auch bei seinen „Interview“ mit Persönlichkeiten wie Francois Mitterand. Dieser Stil ist sicherlich äußerst zweifelhaft. Wenn Scalfari allerdings wirklich zweimal nachgefragt hat, ob er das Interview mit den erfundenen wörtlichen Zitaten veröffentlichen darf, auf diesen Sachverhalt eigens noch in einem Begleitbrief zum „Interview“-Text hingewiesen hat, und dann vom Sekretär des Papstes das OK zur Publikation bekommt, muss der Vatikan eigentlich auch zu dem „Interview“ stehen. Papst Franziskus hat übrigens Scalfari drei Wochen nach der Publikation des „Interviews“ einen Brief geschrieben und dem Gründer und Herausgeber der LaRepubblica ein weiteres Treffen in Aussicht gestellt, „wenn die Vorsehung uns einen freien Augenblick lässt“.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.