Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Santo subito!

So lautete die Forderung einiger Gläubigen bei der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. am 8. April 2005. Zwar erfolgte die Heiligsprechung nicht sofort; aber doch in Rekordzeit. Am 27. April nächsten Jahres wird Papst Franziskus seinen Vorgänger zur Ehre der Altäre erheben. Ganze acht Jahre dauerte damit der „Durchmarsch“ Johannes Pauls II. in den Heiligenhimmel. Auf normalem Weg war das nicht möglich. Benedikt XVI. setzte 2005 die Regel außer Kraft, dass erst fünf Jahre nach dem Tod ein Verfahren zur Seligsprechung eröffnet werden darf. Am 1. Mai 2011 wurde Johannes Paul II. dann bereits seliggesprochen. Nur zwei Jahre später wird er nun offiziell zum Heiligen erklärt.

Gläubige fordern bei der Beeordigung von Papst Johannes Paul II. am 8. April 2005 die sofortige Heiligsprechung. (dpa)

Das ist nicht ganz unumstritten – sowohl die Eile des Verfahrens als auch die Person selbst. Unbestritten ist für viele Gläubige Johannes Paul II. ein Heiliger. Unbestritten sind seine Verdienste beim Fall des Kommunismus im ehemaligen Ostblock. Unbestritten hat er nicht zuletzt durch seine Reisen die katholische Kirche zur Weltkirche gemacht. Doch stellen zu Recht auch Viele Fragen an diesen Papst und sein Pontifikat: Warum wurde nicht konsequenter gegen sexuellen Missbrauch durch Kleriker vorgegangen und der damalige Kardinal Ratzinger, der spätestens seit der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in den USA Anfang des Jahrtausends einen harten Kurs fahren wollte, daran gehindert? Wie war in seiner Zeit der Umgang mit vermeintlichen Abweichlern unter Theologen und Klerikern? Welches Kirchenbild steckte hinter der zunehmenden Zentralisierung der katholischen Kirche? Etc.

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In eigener Sache: Dialog und Streit – aber mit Respekt.

Liebe Mitstreiter hier im Papstgeflüster. In den letzten Tagen hat der Ton hier eine Schärfe erreicht, der nicht mehr akzeptabel ist. Wir sollten wieder zu einem Dialog und Streit mit Respekt zurückkehren, sonst müssen wir hier Einzelne künftig sperren. Wir hatten uns gefreut, dass uns das Schicksal vieler anderer Blogs mit religiösem Inhalt bisher erspart blieb; doch seit einigen Tagen scheint mir hier eine Grenze überschritten. Es wäre schade, wenn wir Einzelne ausschließen oder gar das Blog insgesamt einstellen müssten, weil es an einem vernünftigen, respektvollen Umgang mangelt. Es ist bedauerlich, dass sich einige Mitstreiter hier gezwungen sehen, außerhalb des Blogs zu diskutieren, weil es hier am nötigen Respekt fehlt. Formulierung wie „krankes Hirn“, „XY ist doch nicht ernst zu nehmen“ oder „schwarzberockten paedophilen Vortaenzer Ihrer Konfession“ sind hier fehl am Platz und nicht akzeptabel.

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Tratsch im Vatikan verboten!

Olala – das war einmal mehr ein typischer Franziskus heute Morgen beim Gottesdienst mit der vatikanischen Gendarmerie in den vatikanischen Gärten. Die Messe fand aus Anlass des Schutzpatrons der Truppe, Erzengel Michael, statt. Und einige der rund 150 Gendarmen dürften sich wohl die Augen gerieben haben, was ihr oberster Dienstherr da sagte. Er warnte vor Geschwätzigkeit und Zwietracht im (kleinen) Staate. Klatsch und Tratsch sei eine „verbotene Sprache“ im Vatikan. Es gehe um äußere und innere Feinde, etwa den Teufel der Zwietracht, vor dem die Gendarmen den Vatikan beschützen sollten.

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Der Papst in Fulda

Franziskus war in Fulda – nicht physisch, aber schon lange war ein römischer Pontifex nicht mehr so präsent bei einer Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz wie Franziskus in diesem Jahr. Und dabei wurde an vielen Stellen die ganze „Problematik“ dieses Papstes deutlich. Er schafft Luft für Diskussionen, auch über heikle Themen, und inspiriert; zugleich irritiert er aber auch, stellt Selbstverständliches in Frage und bietet mit seinen Aussagen sowie Gesten scheinbar für zum Teil gegensätzliche Positionen Unterstützung. Alte Kategorien, rechts und links, konservativ und progressiv, oben und unten gelten nicht mehr und auch ein gutes halbes Jahr nach Beginn des Pontifikats hat sich die katholische Kirche noch nicht neu sortiert.

Erzbischof Zollitsch (M) und seine Mitbrüder haben auch über das Papstinterview gesprochen. (dpa)

Die Bischöfe sind damit ein Abbild der Situation, wie sie in vielen Gemeinden herrscht, aber etwa auch in der römischen Zentrale. Man kann sie genauso in den einschlägigen Internetforen beobachten oder an der Tatsache, dass plötzlich die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ versucht, die Bischöfe mit dem Papst an der Seite der Bewegung vor sich herzutreiben. Vor gar nicht allzu langer Zeit undenkbar.

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Frauen an die Macht! Aber …

Frauen an die Macht! Das hat sich die Deutsche Bischofskonferenz vorgenommen; allerdings nur so lange es sich nicht um Weiheämter handelt. Das machte der Vorsitzende der Pastoralkommission der DBK, der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, am Nachmittag in Fulda deutlich. Frauen sollten noch viel mehr an Leitungsaufgaben der Kirche beteiligt werden. Längst seien noch nicht alle Chancen genutzt, die das II. Vatikanische Konzil eröffnet habe. Noch immer seien Frauen in Leitungsaufgaben unterrepräsentiert. Papst Franziskus aus seinem jüngsten Interview zitierend, erklärte Bode: „Der weibliche Genius ist nötig an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Herausforderung heute ist: reflektieren über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen  Autorität ausgeübt wird.“ Bode wollte sich nicht auf eine Quote festlegen lassen. Doch sprach er von mindestens einem Drittel Frauen in leitenden Positionen als einem erstrebenswerten Ziel.

Bischof Franz-Josef Bode (Mitte) und seine Mitbrüder suchen nach Perspektiven für Frauen in verantwortlichen Positionen der Kirche. (dpa)

Bode warnte davor, sich in der Frauenfrage zu sehr auf die Weiheämter zu konzentrieren. Es müsse vielmehr darum gehen, über das Miteinander von Frauen und Männern im Leben der Kirche nachzudenken. Er verwies dabei auf den Studientag der Deutschen Bischofskonferenz bei der Frühjahrsvollversammlung in Trier zu diesem Thema. Damals hatten sich die Bischöfe am Ende mit einer Erklärung verpflichtet, „Frauen noch stärker bei der Wahrnehmung von Verantwortung zu fördern“. Die Vorträge und Ergebnisse des Studientages sind jetzt in einem Buch erschienen, das Bode am Rande der Herbstvollversammlung vorstellte.

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Auch Benedikt XVI. schreibt Briefe.

Nach dem Brief von Papst Franziskus an den Herausgeber der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ vor zwei Wochen, hat die Zeitung heute einen weiteren Papstbrief veröffentlicht. Dieses Mal ist er allerdings von Papst emeritus Benedikt XVI. Er antwortet dem italienischen Mathematiker Piergiorgio Odifreddi auf ein Buch aus dem Jahr 2011 „Caro Papa, ti scrivo“ (Lieber Papst, ich schreibe Dir). Darin setzte sich Odifreddi unter anderem mit Ratzingers Bestseller „Einführung ins Christentum“ auseinander. Benedikt antwortete ihm jetzt in einem auf den 30. August datierten elfseitigen Schreiben, aus denen die Repubblica heute einige Passagen veröffentlicht. Und die haben es durchaus in sich.

Papst Benedikt XVI. 2007 beim Besuch der Vatikanischen Bibliothek. Das Buch von Odifreddi hat er ebenfalls intensiv studiert. (ap)

Um was geht es? Benedikt XVI. weist etwa die Kritik Odifreddis zurück, dass Theologie keine Wissenschaft sondern „Science Fiction“ sei. So sei es gerade die Aufgabe der Theologie, eine Beziehung zwischen Religion und Vernunft  herzustellen. In Bezug auf Oldifreddis These, dass es keine historischen Belege für die Existenz Jesu gebe, meint Benedikt: „Was Sie zur Figur Jesu sagen, ist Ihres wissenschaftlichen Ranges nicht würdig.“ Er verweist ihn an den evangelischen Tübinger Theologen Martin Hengel (1926-2009) und dessen Forschungen über den historischen Jesus. „Vor diesem Hintergrund ist das, was Sie über Jesus sagen, unbesonnen, was Sie nicht wiederholen sollten.“

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Ein Vorkonklave für die Bischofskonferenz

Es ist die letzte Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vor der Wahl eines neuen Vorsitzenden im März nächsten Jahres beim Frühjahrstreffen in Münster. Längst hat hinter den Kulissen natürlich die Kandidatensuche begonnen. Die will der amtierende Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, nun auch ganz offiziell machen –  nicht in der Öffentlichkeit, aber intern hat er eine Art Konsultationsprozess vorgeschlagen. Beim traditionellen Eröffnungsreferat heute Abend regte er an, die nächsten Monate dazu zu nutzen, über die Stärken und Schwächen der Bischofskonferenz zu sprechen, ähnlich wie beim Vorkonklave soll es eine „offene und kritische Analyse“ geben. Zollitsch möchte „Generalkongregationen ganz eigener Art“. „Je klarer wir uns über die gemeinsamen und mehrheitlich gewollten Ziele sind, desto besser können wir Fragen über die Struktur unseres Arbeitens, die Erwartungen an den neuen Vorsitzenden und die richtige Unterstützung durch die verschiedenen Dienststellen klären und angehen.“ Zollitsch will dafür die „verschiedenen Ebenen“, auf denen sich die Bischöfe bis zur Neuwahl im März treffen, nutzen.

Erzbischof Zollitsch sieht Gleichklang der Bischofskonferenz mit Papst Franziskus. Er wünscht sich eine dienende, barmherzige Kirche, nah bei den Menschen - wie der Papst.

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Papst an der Seite der Arbeiter

Während in Deutschland am Wochenende alle mit der Bundestagswahl beschäftigt waren, hat Papst Franziskus fast unbemerkt einige interessante Akzente gesetzt. Bei seinem eintägigen Besuch auf der Mittelmeerinsel Sardinien geißelte er mit seinen gewohnt scharfen Worten das aktuelle Weltwirtschaftssystem, machte zugleich aber deutlich, dass die Menschen nicht lamentieren sollten, sondern sich vielmehr engagiert für eine bessere Zukunft und eine gerechtere Welt einsetzen sollten. Am Tag zuvor hatte er wichtige Personalentscheidungen getroffen, die auch Deutschland betreffen: Erzbischof Müller wurde in seinem Amt als Chef der vatikanischen Glaubenskongregation bestätigt und es gibt einen neuen Nuntius in Deutschland: Erzbischof Eterovic.

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Der Papst im Interview

Gut 20 DinA4-Seiten füllt das Interview, das Papst Franziskus den Jesuitenzeitschriften gegeben hat. Für einen Papst, der nicht gerne Interviews gibt, durchaus sensationell. Auch der Inhalt ist bemerkenswert. Zwar ist eine ganze Reihe von Positionen bereits bekannt; doch lernt man auch viel Neues über den Papst persönlich und seine Vorstellungen von der Kirche in der Gegenwart. Fragen der Politik, Ökumene oder interreligiöser Dialog spielen kaum eine Rolle in dem Interview. Drei Mal traf sich der Chefredakteur der italienischen Jesuitenzeitung La Civiltà Cattolica, Antonio Spadaro, am 19., 23. und 29. August für jeweils mehrere Stunden mit Franziskus im vatikanischen Gästehaus Santa Marta.

Die Pressekonferenz auf dem Rückweg von Rio scheint Papst Franziskus Spaß gemacht zu haben. Jetzt gab er ein großes Interview für Jesuitenzeitschriften. (dpa)

Papst persönlich

Das Gespräch beginnt sehr persönlich. Auf die Frage, wer ist Jorge Mario Bergoglio antwortet der Papst: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition“. Um dann hinzuzufügen, dass er ein wenig gewieft sei, sich verstehe zu bewegen und auch ein wenig arglos sei. Dass er sich zu bewegen versteht, zeigen die ersten Monate im Pontifikat, in denen er bereits klare Akzente gesetzt hat und dem Papstamt einen ganz eigenen Stempel aufgedrückt hat. Ausführlich spricht Franziskus über seine Motivation, Jesuit zu werden. Drei Dinge hätten ihn beim Orden des hl. Ignatius berührt: der Sendungscharakter, die Gemeinschaft und die Disziplin. Wenn man Franziskus über die Jesuiten, ihre Spiritualität und ihr Denken reden hört und dann die letzten sechs Monate im Amt als Papst daneben hält, wird deutlich, wie das Jesuitische das Handeln des amtierenden Papstes prägt. „Der Jesuit muss immer ein Mensch von unabgeschlossenem, von offenem Denken sein.“

Im hinteren Teil des Interviews geht es noch einmal um persönliche, private Dinge des Papstes: Er liebt Dostojewski und Hölderlin; hat schon dreimal Manzonis „Die Brautleute“ (Promessi Sposi) gelesen und will sie in Kürze noch einmal lesen. Caravaggio und Chagall sind seine Lieblingsmaler. Mozart (v.a. das ‚Et incarnatus est“ aus der Messe in C-Moll) und Beethoven hört er gerne, auch die Passionen von Bach und schließlich Wagner. Fellini, Magnani und Fabrizi sind seine Favoriten beim Film – sprich der italienische Film liegt ihm am Herzen – hier schlägt seine italienische Herkunft, seine Großeltern wanderten aus der Nähe von Turin nach Argentinien aus, durch – und natürlich der dänische Streifen ‚Babettes Fest‘.

Entscheidungsfindung und Strukturen

Hier schlägt Franziskus sehr selbstkritische Töne an, für einen Papst meines Erachtens ungewöhnlich: Er habe sich als Jesuitenoberer in Argentinien nicht immer korrekt verhalten, habe notwendige Konsultationen nicht durchgeführt. „Mein Führungsstil als Jesuit hatte anfangs viele Mängel. […] Meine autoritäre Art, Entscheidungen zu treffen, hat mir ernste Probleme und die Beschuldigung eingebracht, ultrakonservativ zu sein. […] Ich bin nie einer von den ‚Rechten‘ gewesen. Es war meine autoritäre Art, Entscheidungen zu treffen, die Probleme verursachte.“ Doch er habe gelernt, so Franziskus. Konsultationen seien sehr wichtig. Konsistorien, also die Treffen von Kardinälen, sowie Synoden sind aus seiner Sicht wichtige Orte für solche Konsultationsprozesse. „Man sollte sie in der Form allerdings weniger starr gestalten. Ich wünsche mir wirklich keine formellen Konsultationen.“

Franziskus hält nicht viel von kurzfristigen Reformen und Veränderungen. Man brauche immer Zeit, „um die Grundlage für eine echte, wirksame Veränderung zu legen. […] Ich misstraue immer der ersten Entscheidung, das heißt, der ersten Sache, die zu tun mir in den Sinn kommt. Sie ist im Allgemeinen falsch. Ich muss warten, innerlich abwägen, mir die nötige Zeit nehmen.“ Alle, die eine schnelle Kurienreform erwarten, werden an dieser Stelle eines besseren belehrt.

Franziskus ist überzeugt, dass Synodalität auf verschiedenen Ebenen gelebt werden muss. Volk, Bischöfe und Papst müssten gemeinsam gehen. Von den „orthodoxen Brüdern“ könne man „noch mehr den Sinn der bischöflichen Kollegialität und die Tradition der Synodalität lernen“. Er möchte auch gerne die Reflexion mit den anderen christlichen Kirchen über den Primat des Petrus fortführen. An dieser Stelle, wenn es über Synodalität und Primat geht, kommt eine ökumenische Komponente in das Gespräch.

Was die römische Kurie anbetrifft betont Franziskus den Dienstcharakter der Behörden für den Papst, die Bischöfe und Ortskirchen. „In Einzelfällen, wenn man sie nicht richtig versteht, laufen sie Gefahr, Zensurstellen zu werden. […] Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.“

Kirche

In Anlehnung an die Konzilskonstitution „Lumen Gentium“ spricht er von der Kirche als „heiliges Volk Gottes“, das auf dem Weg durch die Geschichte ist. „Diese Kirche, mit der wir denken und fühlen sollen, ist das Haus aller – keine kleine Kapelle, die nur ein Grüppchen ausgewählter Personen aufnehmen kann.“ Er sieht die Kirche aktuell wie ein „Feldlazarett nach einer Schlacht“. Das, was die Kirche heute brauche, ist die Fähigkeit, „die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen.“ Die Diener der Kirche müssten dabei vor allem Diener barmherzig sein. „Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker.“ Dabei warnt Franziskus einmal mehr zugleich vor Rigorismus und Laxheit in der Pastoral.

Homosexualität

Papst Franziskus wiederholt, was er schon bei der Pressekonferenz auf dem Rückweg vom Weltjugendtag aus Rio de Janeiro gesagt hat: Die Religion dürfe die eigene Überzeugung zum Ausdruck bringen, so Franziskus; aber: „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben.“ Zugleich gibt der Papst zu bedenken, dass Kirche sich nicht nur mit der Frage um Abtreibung, homosexuellen Ehen und Verhütungsmethoden befassen könne. „Das geht nicht.“ Zumal man bei diesen Themen immer den jeweiligen Kontext beachten müsse. „Die Lehren der Kirche – dogmatische wie moralische – sind nicht alle gleichwertig.“ Eine missionarische Seelsorge sei nicht davon besessen, „ohne Unterschiede eine Menge von Lehren aufzudrängen. […] Wir müssen also ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wir ein Kartenhaus zusammen, droht seine Frische und den Geschmack des Evangeliums zu verlieren.“ Übrigens erinnerte mich diese Passage etwas an das TV-Interview von Papst Benedikt XVI. für ARD und ZDF vor dem Bayernbesuch im Spätsommer 2006. Damals hatte er auf die Frage, warum er beim Weltfamilientreffen kurz zuvor in Valencia nicht über Homo-Ehe, Abtreibung und Verhütung gesprochen habe, geantwortet, dass es zunächst darum gehe, das positive des christlichen Glaubens zu verkünden. Das Christentum sei nicht eine Ansammlung von Verboten, sondern eine positive Option. Das sei ihm wichtig.

Frauen

Die Frau sei für die Kirche unabdingbar, so der Papst. „Ich fürchte mich aber vor einer ‚Männlichkeit im Rock‘, denn die Frauen haben eine andere Struktur als der Mann.“ Deshalb wiederholt er seine Forderung nach einer „gründlichen Theologie der Frau“. Die Herausforderung heute sei, darüber zu reflektieren „über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird“.

II. Vatikanisches Konzil

Sehr positiv spricht Franziskus über das II. Vatikanische Konzil, das „eine neue Lektüre des Evangeliums im Licht der zeitgenössischen Kultur“ gewesen sei. Die Liturgiereform etwa bezeichnet er als „Dienst am Volk“. Die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., den alten Ritus wieder zuzulassen, ist nach Franziskus „weise“ gewesen. Zugleich bezeichnet er allerdings das Risiko einer Ideologisierung oder Instrumentalisierung des Alten Ritus als „sehr gefährlich“. Er sieht beim Konzil sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität. „Aber eines ist klar: Die Dynamik der aktualisierten Lektüre des Evangeliums von heute, die dem Konzil eigen ist, ist absolut unumkehrbar.“

Gott

Franziskus ist überzeugt, „Gott offenbart sich in der Zeit und ist gegenwärtig in den Prozessen der Geschichte“. Allerdings bleibe beim Suchen und Finden Gottes in allen Dingen immer eine Unsicherheit. „Wenn einer Antworten auf alle Fragen hat, dann ist das der Beweis dafür, dass Gott nicht mi ihm ist.“ Gott begegne man auf dem Weg. Franziskus erinnert in diesem Kontext an Abraham, den Urvater des Glaubens, der sei aufgebrochen, ohne genau zu wissen, wohin er gehen soll. „Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.“

Fazit

Es lohnt sich, das Interview zu lesen – klar. Es ist nicht leicht zu lesen; denn der Text ist gleichsam die Abschrift eines Gesprächs zwischen Pater Antonio Spadaro und Papst Franziskus. Nicht alle Gedanken sind bis ins Detail entfaltet; manchmal sind Sprünge an Stellen, an denen man sich weitere Präzisierung gewünscht hätte. Aber da bleibt ja dann der Raum für weitere Gespräche und Interviews mit dem Papst. Es kann aber meines Erachtens durchaus dazu beitragen, das Denken und Handeln von Papst Franziskus besser zu verstehen. Durch die gleichzeitige Veröffentlichung in 16 Zeitschriften und vielen Sprachen ist dem Papst wenige Tage nach seinem weltweiten Friedensgebet für Syrien, ein weiterer globaler Coup gelungen.