Der letzte große Gottesdienst

Rom im Ausnahmezustand – aber etwa nicht, weil hier die Massen durch die Straßen ziehen wie nach dem Tod Johannes Pauls II., sondern weil hier noch immer eine Mischung aus Schockstarre, Ungewissheit und Hauch des Historischen in der Luft liegt. Einerseits geht alles dann doch sehr schnell. Am Montag die Ankündigung des Rücktritts; heute, zwei Tage später, schon der letzte große öffentliche Gottesdienst Benedikts XVI. Andererseits wird die Welt Zeuge der Endphase eines Pontifikats, die wie in einer Art Zeitlupe vor sich geht. Zwar gab es bei Johannes Paul II. eine lange Agonie; trotzdem ging das Amtsleben weiter fast bis zum Schluss. Normalerweise endete ein Pontifikat mit dem „plötzlichen Tod“. Jetzt erlebt die Welt beinahe minutiös die letzte Phase mit, geht sehend Auges auf das Ende zu.

Beim täglichen Briefing listete heute der vatikanische Pressesprecher alle Termine des Papstes bis zum 28. Februar auf. Beinahe minutiös nimmt die Öffentlichkeit Anteil an den letzten offiziellen Akten Benedikts XVI. und angesichts der sonst sehr pompösen Feierlichkeiten im Vatikan will niemand so richtig glauben, dass sich der Papst am 28. Februar gegen 17 Uhr einfach in den Hubschrauber setzt und nach Castelgandolfo fliegt. Dort endet dann um 19.59 Uhr sein Pontifikat, ganz still und leise. Es gibt keinen Ritus etwa zum Ablegen des Fischerrings oder des Palliums – zumindest bisher. Es gibt keinen Dankgottesdienst zum Abschluss des Pontifikats. Benedikt XVI. wird sich am Vormittag des 28. mit den Kardinälen noch einmal in der Sala Clementina treffen. Doch man dürfe keine großen Reden erwarten, hieß es dazu heute im Vatikan, eher spontane Worte des Papstes und eventuell des Kardinaldekans. Die Öffentlichkeit kann sich am 27. verabschieden bei der letzten Generalaudienz am Vormittag auf dem Petersplatz.

Gläubige auf dem Petersplatz verfolgen den letzten Gottesdienst Benedikts XVI.

Genau wird natürlich jetzt auf jedes Wort Benedikt XVI. geachtet. In seiner Predigt zum Aschermittwoch schlug er noch einmal sehr selbstkritische Töne in Bezug auf die Kirche an; kritisierte Individualismen und Rivalitäten in der Kirche sowie „Sünden gegen die Einheit der Kirche“. Klingt hier auch Kritik an der römischen Kurie an? Welche Rolle spielen die Zustände im Vatikan beim Entschluss Benedikts XVI., sein Amt aufzugeben? Bisher gibt es die Predigt auf Deutsch nur in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Über zwei Minuten Beifall gab es zum Abschluss des Gottesdienstes. Mit Spannung wird nun das Treffen Benedikts XVI. mit den Priestern des Bistums Rom morgen Vormittag erwartet. Eigentlich wollte er dabei über das II. Vatikanische Konzil sprechen. Ob das angesichts der neuen Situation durch den Rücktritt so sein wird, ist unklar.

Unklar ist auch, was der Rücktritt für das Papstamt und die Kirche bedeutet. Von „Entzauberung“ und „Entsakralisierung“ des Papstamts ist die Rede. Hat Benedikt XVI. am Ende das Amt des Pontifex menschlicher gemacht? Er, der in seiner Amtszeit immer wieder dafür kritisiert wurde, dass er das Amt zunehmend sakralisiert habe? Wird der Bewahrer Joseph Ratzinger durch seinen spektakulären Schritt am Ende zum Wegbereiter für Reformen? Vielleicht auch, weil sein Pontifikat gezeigt hat, wie notwendig sie an verschiedenen Stellen sind? Nach wie vor Fragen über Fragen – und der Name sowie der protokollarische Rang Benedikts XVI. ab 1. März ist noch immer nicht klar. Im Vatikan rauchen die Köpfe der Kirchenrechtler und Experten – Ausnahmezustand in Rom.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.