Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Der Papst und das Konzil

Will Papst Benedikt XVI. hinter das II. Vatikanische Konzil zurück? War der junge Theologe Joseph Ratzinger als Berater von Kardinal Josef Frings und offizieller Konzilstheologe ein Reformer? Und denkt der heutige Papst Benedikt XVI. anders über die größte Bischofsversammlung der Neuzeit als eben jener junge Theologe? Diese Fragen beschäftigen viele seit Jahren. Spätestens seit dem Versuch der Versöhnung mit der traditionalistischen Piusbruderschaft liegt die Frage auf dem Tisch, wie steht Benedikt XVI. zum Konzil. Antworten auf diese Fragen finden sich sicherlich in dem neuen Band der „Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers“, der gestern Abend in Rom vorgestellt wurde.

 

Theologe Ratzinger und Kardinal Frings - Reformer beim Konzil? (dpa)

In zwei Teil-Bänden auf über 1.200 Seiten sind die wichtigsten Texte Joseph Ratzingers zum II. Vatikanischen Konzil zusammengetragen. Enthalten sind etwa die Entwürfe Ratzingers für die Konzilsreden des Kölner Erzbischofs, Kardinal Josef Frings, die Kommentare Ratzingers zu einzelnen Konzilsdokumenten wie die Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ oder die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, sowie schließlich Ratzingers Berichte über die einzelnen Sitzungsperioden.

1.200 Seiten – das habe ich jetzt in einem Tag nicht geschafft. In den nächsten Wochen werde ich aber sicher gelegentlich hier an dieser Stelle auf die Bände zurückkommen. Vor einiger Zeit hatte ich ja schon über das Vorwort zu dem Konzilsband geschrieben. Das hatte Papst Benedikt XVI. in diesem Sommer verfasst und war interessanter Weise nicht auf die großen Konstitutionen über Kirche, Liturgie oder Ähnliches eingegangen. Vielmehr gab er an, dass für ihn zentral im Rückblick die Aussagen des Konzils zur Ökumene, zur Religionsfreiheit und dem Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen sind. Das war eine überraschende Akzentsetzung. Ich bin gespannt, ob auch die Originaltexte Überraschungen bereithalten.

Bibliografische Angaben: Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI.: Zur Lehre des II. Vatikanischen Konzils. Formulierung – Vermittlung – Deutung. Gesammelte Schriften Bände 7/1 und 7/2. Freiburg u.a. 2012.

25.11.2012 – Konzilstag im ZDF

Ein kurzer Hinweis in eigener Sache: Der 25. November ist „Konzilstag“ im ZDF. Am Morgen kam der Gottesdienst aus der Konzilsgedächtniskirche in Wien. Am Abend läuft um 0.20 Uhr unsere Dokumentation „Revolution im Vatikan – 50 Jahre II. Vatikanisches Konzil“. Viele Informationen und Hintergründe zu dem Film gibt es auf unserer Seite: papst.zdf.de.

Hier findet sich auch ein ausführliches Interview mit Professor Hubert Wolf. Der Kirchenhistoriker aus Münster spricht über die Bedeutung des Konzils, den Streit über die Auslegung der Konzilstexte heute und die Rolle von Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI. bei der Bischofsversammlung in den 1960er Jahren und seiner späteren Rezeption.

Der „Senat“ der Kirche

Seit 1927 gab es kein Konsistorium mehr, bei dem nicht ein Italiener zum Kardinal kreiert wurde. Viele Italiener können es kaum fassen. Doch beim aktuellen Konsistorium mussten nicht nur die Italiener warten; es ist keiun Europäer dabei und damit auch nicht der Chef der (zweit-)wichtigsten Vatikanbehörde: Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Glaubenskongregation.

Die Kardinäle beraten den Papst und die verschiedenen Behörden des Heiligen Stuhls – daher die Bezeichnung „Senat der Kirche“. Die wohl wichtigste Aufgabe ist die Wahl eines neuen Papstes nach dem Rücktritt oder dem Tod eines Pontifex. Alle Kardinäle, die am Tag vor dem Rücktritt oder dem Tod eines Papstes das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ziehen in ein Konklave ein. Das sind mit dem heutigen Tag 120 der insgesamt 211 Kardinäle. Papst Paul VI. hatte festgelegt, dass die Zahl der Papstwähler nicht über 120 liegen soll; doch haben sich in der Vergangenheit die Päpste auch immer wieder über diese Bestimmung hinweggesetzt.

Noch immer kommt mehr als die Hälfte der Papstwähler aus Europa: 62 (allein 28 aus Italien). Aus Südamerika (21 Papstwähler), Afrika und Asien (je11) sowie Ozeanien (1), wo rund 66% der Katholiken leben, kommen nur 44 wahlberechtigte Kardinäle (d.h. 36%). Um dieses Missverhältnis etwas auszugleichen, hatte Papst Benedikt XVI. dieses Mal nur Nichteuropäer ernannt. Von einer gerechten Verteilung ist die Kirche aber noch weit entfernt. Umso mehr wenn man bedenkt, dass die Wachstumsregionen der katholischen Kirche in Asien und Afrika liegen. Derzeit gibt es neun deutsche Kardinäle, von denen sechs wahlberechtigt wären: der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner (78), der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann (76), der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx (59), der Berliner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (56), der ehemalige vatikanische Ökumeneminister Walter Kardinal Kasper (79) sowie der ehemalige vatikanische Entwicklungshilfeminister Paul Josef Kardinal Cordes (78).

Patriarch Rai

Die neuen Kardinäle kommen zum größten Teil aus „Krisenzentren“ der katholischen Kirche. Patriarch Bechara Boutros Rai versucht im Libanon das fragile Mächteverhältnis zwischen Christen und Muslimen zu stärken. Angesichts des Konflikts im Nachbarland Syrien ist das eine schwierige Aufgabe. Mit seinem Besuch Mitte September in Beirut wollte Benedikt XVI. das Engagement der Kirche um Frieden und Versöhnung unterstützen. Der Inder Baselios Cleemis Thottunkal steht an der Spitze der rund 300.000 Mitglieder zählenden syro-malankarischen Kirche. Ihre Mitglieder klagen seit Jahren immer wieder über Diskriminierung und Gewalt in ihrer Heimat.

Kardinal Onaiyekan

Kardinal John Olorunfemi Onaiyekan sucht als Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz den Dialog mit gemäßigten Muslimen, um gemeinsam den Islamisten der Terrorgruppe Boko Haram im Land begegnen zu können. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Anschläge von Islamisten auf christliche Kirche, vor allem im Norden Nigerias. Onaiyekan erhielt vor wenigen Tagen den diesjährigen Friedenspreis von Pax Christi International. Kardinal Ruben Salazar Gomez engagiert sich als Vorsitzender der kolumbianischen Bischofskonferenz seit 2008 im Streit zwischen Regierung und der linksgerichteten Rebellenorganisation FARC. Der 70-Jährige kritisiert Menschenrechtsverletzungen bei allen Konfliktparteien, auch der Armee. Durch diese Unabhängigkeit genießt er großen Respekt in seinem Heimatland. Kardinal Louis Antonio Tagle kommt von den Philippinen, der katholischen Hochburg in Asien. Nur in Brasilien und Mexiko leben mehr Katholiken als auf dem Inselstaat. Der 55-Jährige ist ein Experte für das II. Vatikanische Konzil und gilt für Beobachter als einer der wenigen asiatischen Papabile.

Kardinal Tagle

Das Konsistorium vom Wochenende ist das fünfte Konsistorium zur Kreierung neuer Kardinäle im Pontifikat von Papst Benedikt XVI. und das zweite in diesem Jahr. Benedikt XVI. hat damit insgesamt 90 Kardinäle ernannt. Auch wenn das aktuelle Konsistorium noch abgeschlossen ist, gibt es bereits Spekulationen, wann das nächste stattfindet. Ob dies schon zum Fest Cathedra Petri am 22. Februar kommt, ist ungewiss. Denn bis dahin werden nur zwei Kardinäle das 80. Lebensjahr vollenden. Nähme Benedikt noch die Plätze der vier Kardinäle (darunter Kardinal Kasper) dazu, die bis Ende März 80 Jahre alt werden, hätte er immerhin sechs Plätze. Wartet er bis zum Christkönigsfest 2013 hätte er 10 Plätze zu vergeben – immer vorausgesetzt, er geht nicht über die „Sollgrenze“ von 120 Papstwählern.

Sechs neue Kardinäle und Spekulationen um Georg Gänswein

Feierlicher Gottesdienst im Petersdom

Das ist die Überschrift über das letzte Wochenende im Kirchenjahr. Papst Benedikt XVI. hat heute Morgen sechs neue Kardinäle in den „Senat der Kirche“ aufgenommen. Darunter auch den langjährigen Präfekten des Päpstlichen Hauses, James Harvey. Der US-Amerikaner ist seit gestern Erzpriester der Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Ein Nachfolger wurde noch nicht ernannt und das schürt die Spekulationen rund um die Person des päpstlichen Privatsekretärs Georg Gänsweins. Wird er neuer Präfekt und muss damit das „Apartamento“, also den engsten Kreis um Papst Benedikt XVI. verlassen? So zumindest war gestern in italienischen Medien zu lesen. Gänswein müsse gehen – letztendlich als Konsequenz aus der Vatileaksaffäre. Schließlich seien die Dokumente zum Teil aus seinem Büro entwendet worden.

Papstsekretär Georg Gänswein

Doch diese Deutung ist wenig wahrscheinlich. Eher dürfte Georg Gänswein aus Personalrochade im engsten Umfeld des Papstes gestärkt hervorgehen – so sie denn kommt. Über eine Bischofsernennung des 56-Jährigen wird seit vielen Wochen in Rom spekuliert. Dabei gibt es verschiedene Szenarien. Der Papst könnte in Kürze einen neuen Präfekten des Päpstlichen Hauses ernennen – oft wird der Name Petar Rajic genannt. Der 53-Jährige ist derzeit Nuntius auf der arabischen Halbinsel und arbeitete früher schon einmal im Apostolischen Palast. Georg Gänswein könnte dann im Bischofsrang zum „beigeordneten Präfekten“ des Päpstlichen Hauses ernannt werden. Genauso war Papst Johannes Paul II. 1998 mit seinem langjährigen Privatsekretär Stanislaw Dziwisz verfahren. Gänswein hätte damit mehr Kompetenzen und würde für eine engere Verzahnung der Arbeit der Präfektur und des Sekretariats des Papstes sorgen. Die Präfektur ist unter anderem für den Terminkalender des Papstes zuständig (außer die Liturgien) und organisiert die Audienzen.

Doch auch für den Fall, dass Georg Gänswein selbst Präfekt des Päpstlichen Hauses wird, muss dies nicht bedeuten, dass er damit aus dem direkten Umfeld des Papstes entfernt würde. Schließlich ließe sich das Verhältnis zwischen Präfektur und Privatsekretariat so gestalten, dass er seinen direkten Zugang zum Papst behält. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Benedikt XVI. seinen engsten Mitarbeiter ziehen lässt. Vielmehr bedeutet sein „Einzug“ in die Präfektur des Päpstlichen Hauses, ganz gleich in welcher Form, eine Erweiterung der Kompetenzen und des Handlungsspielraums Gänsweins.

Mit dem Konsistorium an diesem Wochenende wird das Kardinalskollegium wieder etwas bunter und internationaler. Unter den sechs neuen Purpurträgern ist kein Europäer. Neben James Harvey hat der Papst die Erzbischöfe von Abuja/Nigeria, Bogota/Kolumbien und Manila/Philippinen, John Olorunfemi Onaijekan (68), Ruben Salazar Gomez (70) und Luis Antonio Tagle (55) sowie den maronitischen Patriarchen Bechera Boutros Rai (72) aus dem Libanon und das Oberhaupt der syro-malankarischen Kirche, Isaac Cleemis Thottunkal (53), aus Indien zu Kardinälen ernannt. Thottunkal löst den Berliner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, als jüngstes Mitglied im Kardinalskollegium ab.

"Die Kirche ist katholisch: allumfassend."

In seiner Predigt betonte Papst Benedikt XVI. die Universalität der katholischen Kirche. Dem Beispiel Jesu folgend müsse jeder „ethnische, nationale und religiöse Partikularismus“ überwunden werden. Besonders durch dieses Konsistorium wolle er hervorheben, dass die Kirche eine Kirche aller Völker sei und sich in den unterschiedlichen Kulturen der verschiedenen Kontinente ausdrücke. „Es ist die Kirche von Pfingsten, die in der Polyphonie der Stimmen einen einzigen harmonischen Gesang zum lebendigen Gott aufsteigen lässt.“ Die entscheidende Frage ist allerdings, wie viel Polyphonie die Kirche verträgt? Auf diese Frage ging der Papst heute nicht ein. Bleibt abzuwarten, ob mit den neuen Kardinälen mehr Polyphonie in die römische Kurie kommt; denn die Kardinäle gehören zu den Mitgliedern und Beratern der vatikanischen Behörden.

Die Ansprach des Papstes beim heutigen Konsistorium: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/homilies/2012/documents/hf_ben-xvi_spe_20121124_concistoro_ge.html. Ein paar Statistiken zum Kardinalskollegium gibt es hier in Kürze.

Die Geburt Jesu: die CD zum Ereignis

Der Papst schreibt ein Buch über die Geburt Jesu – und die Päpstliche Schweizergarde veröffentlicht die CD dazu. „Weihnachten mit der Schweizergarde“ lautet der Titel des Werks, das gestern am Fest der Heiligen Cäcilia, der Patronin der Musik, im Vatikan vorgestellt wurde. Das Bläserquintett der Garde hat zusammen mit der Harfenistin Daniela Lorenz 18 Advents- und Weihnachtslieder eingespielt. Aus dem Erlös der CD werden je zur Hälfte die Arbeit der Garde und Sozialprojekte unterstützt.

Bläserquintett mit Harfenistin

Für viele sind die jungen Männer in ihren bunten Uniformen in den Farben der Medici nur ein beliebtes Fotomotiv an den Eingängen zum kleinsten Staat der Welt. Doch was nach außen wie reine Folklore wirkt, ist ein knochenharter Job. Rund 110 Mann ist die Truppe stark. Sie sind zusammen mit der Vatikanischen Gendarmerie für die Sicherheit des Papstes verantwortlich. Neben den normalen Wachdiensten müssen sie auch als Ehrenformation beim Empfang von Staatsgästen antreten. Dazu kommen die Ordnerdienste bei Gottesdiensten und Audienzen des Papstes. Da bleibt wenig Freizeit. Die nutzen die Gardisten zum Sport oder eben zum Musizieren in der Gardekapelle.

Bischof de Nicolò und Vizekommandant Graf

Die Realisierung der CD war nicht ganz einfach, erklärte Vizekommandant Christoph Graf gestern Abend bei der Vorstellung. Nach einem Konzert des Bläserquintetts im vergangenen Dezember hatte Garde-Kommandant Daniel Anrig die Idee, nach über 30 Jahren wieder eine Musik-CD zu produzieren. Doch die übrigen Führungskader waren dagegen; Anrig musste sie erst mühsam überzeugen. Doch im Februar gingen die Aufnahmen los – in einem Studio von Radio Vatikan. Die ersten Töne erklangen just an dem Tag, an dem es in Rom nach Jahren erstmals wieder schneite, erklärt Franz Hürlimann, einer der beiden Saxophonisten. Für den jungen Gardisten ein bewegender Moment. Die Aufnahmen waren harte Arbeit, berichtet er. Teilweise hätten sie einzelne Stücke mehr als 25 Mal eingespielt, bis alle zufrieden waren. Für das Projekt verzichtete Hürlimann sogar über Wochen auf seinen geliebten Sport. Nach gut einem Monat waren die 18 Stücke im Kasten. Für die CD arbeiteten die Gardisten (Saxophon, Waldhorn, Klarinette, Posaune sowie Tambour) mit Daniela Lorenz zusammen, einer Expertin für lateinamerikanische Harfe.

Bald ein Musikstar? Saxophonist Franz Hürlimann

Die Feierstunde im Gardequartier bot an einem lauen Novemberabend für manchen Gast die Gelegenheit, die Stürme der vergangenen Monate für einen Moment zu vergessen. Kurienbischof Paolo de Nicolò hatte beim Gottesdienst im Petersdom vor dem Festakt die „Harmonie“ in den Mittelpunkt seiner Predigt gestellt. Die sei nicht nur in der Musik wichtig; sondern auch für jeden Einzelnen sowie im Miteinander. So schien die Hoffnung vieler Gäste an diesem Abend, dass nach den Zerwürfnissen und Verdächtigungen der jüngsten Vergangenheit im Vatikan wieder etwas mehr Harmonie einkehrt.

Informationen zur CD gibt es auf der Internetseite der Päpstlichen Schweizergarde: http://www.swissguard.va/uploads/media/121122_CD_Taufe.pdf.

Die Kindheit Jesu: Wie es wirklich war!

Wer spektakulär Neues vom Papstbuch über die Kindheitsevangelien erwartet hat, der wird enttäuscht sein von den rund 130 Seiten Text. Den christlichen Glauben aus den Angeln zu heben, darin sieht Joseph Ratzinger nicht sein Aufgabe. Vielmehr geht es ihm darum, die biblischen Erzählungen, die heute an vielen Stellen bisweilen von Wissenschaftlern wie „einfachen“ Gläubigen in Zweifel gezogen werden, neu zu erschließen und ihren Wahrheitsgehalt darzulegen. Das macht er in einer Mischung aus wissenschaftlicher, sprich historisch-kritischer Herangehensweise und gleichzeitiger religiöser Deutung der Ereignisse. Was er darunter versteht, schreibt er in seinem zusammenfassenden Urteil über die Kindheitsgeschichte im Matthäusevangelium. Diese sei „nicht eine in Geschichte gekleidete Meditation, sondern umgekehrt: Matthäus erzählt uns wirkliche Geschichte, die theologisch bedacht und gedeutet ist, und hilft uns so, das Geheimnis Jesu tiefer zu verstehen“.

Benedikt XVI. zweifelt nicht an der Jungfrauengeburt. Es gebe bisher keine andere plausible Erklärung, als dass sie „wahr ist“. Bei der Suche nach Erklärungen für die Jungfrauengeburt widerspricht Ratzinger einer These des Kirchenlehrers Augustinus. Das ist ungewöhnlich, denn Benedikt XVI. ist als großer Augustinusfreund bekannt. An dieser Stelle folgt er ihm nicht. Maria habe nicht, wie Augustinus sagte, ein Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt und sich verlobt, um mit Josef einen „Schützer ihrer Jungfräulichkeit“ zu haben. Vielmehr kommt Ratzinger zu dem Ergebnis, – in Einklang mit dem protestantischen Theologen Karl Barth – dass es in der Geschichte Jesu zwei Punkte gebe, an denen Gottes Wirken unmittelbar in die materielle Welt eingreife: die Geburt aus der Jungfrau und die Auferstehung aus dem Grab. „Insofern sind diese beiden Punkte Prüfsteine des Glaubens. Wenn Gott nicht auch macht über die Materie hat, dann ist er eben nicht Gott.“ Dieses Fazit überrascht etwas, da Ratzinger wenige Seiten vorher betont, dass Gott bei der Geburt Jesu auf die Freiheit des Menschen angewiesen ist: „Er [Gott] kann den frei geschaffenen Menschen nicht ohne ein freies Ja zu seinem Willen erlösen. Die Freiheit erschaffend, hat er sich in gewisser Weise vom Menschen abhängig gemacht.“

Wie schon in den anderen beiden Bänden der Jesustrilogie zeigt Ratzinger die enge Verbindung zwischen Christentum und Judentum auf. Jesus und seine Familie seien fromme Juden gewesen, die das Gesetz beachteten. Ratzinger weist die Vorstellung von Jesus als einem Revolutionär entschieden zurück. „Die Freiheit Jesu ist nicht die Freiheit des Liberalen. Es ist die Freiheit des Sohnes und so die Freiheit des wahrhaft Frommen.“ Freiheit und Gehorsam gegenüber Gott gehörten untrennbar zusammen. Umgekehrt müssten Politik und Glauben getrennt werden. „Wo sich der Kaiser vergöttlicht und göttliche Qualitäten in Anspruch nimmt, überschreitet die Politik ihre Grenzen und verspricht, was sie nicht leisten kann.“ An wenigen Stellen blitzen in dem sehr theologisch und spirituell gehaltenen Buch Bezüge wie diese zur Aktualität auf. Etwa auch dann, wenn Ratzinger bei der Auslegung der Erzählung von den drei Magiern von der „Ambivalenz des Religiösen“ spricht und davor warnt, dass das Religiöse dämonisch und zerstörerisch sein kann, wenn es sich gegen Gott stellt. Eine kleine Spitze findet sich gegen die theologische Wissenschaft, die sich nicht im akademischen Disput erschöpfen dürfe.

Ein Gedanke zieht sich durch das Werk durch, der einen starken Gegenwartsbezug hat. Gleich an mehreren Stellen macht Benedikt XVI. deutlich, dass „Gott stört“. Er handelt anders, als der Mensch es erwartet und hat damit etwas Provokatives. „Wir alle wissen, wie sehr heute Christus Zeichen eines Widerspruchs ist, der im Letzten Gott selbst gilt. Gott selbst wird immer wieder als die Grenze unserer Freiheit gesehen, die beseitigt werden müsse, damit der Mensch ganz er selber sein könne. Gott steht mit seiner Wahrheit der vielfältigen Lüge des Menschen, seiner Eigensucht und seinem Hochmut entgegen.“ Unausgesprochen stecken in diesen Ausführungen Fragen, die seit langer Zeit gerade auch im deutschen Sprachraum heftig diskutiert werden: Was bedeutet das für das Auftreten der Christen in Politik und Gesellschaft? Wie eckig und kantig muss Kirche heute sein, wenn der Stifter mit seinem Verhalten und seiner Botschaft aneckte? „Erlösung ist nicht Wellness,“ lautet das Fazit des Papstes. Klingt da auch etwas von „Entweltlichung“ durch?

Das Projekt „Jesusbuch“ war ein Herzensanliegen von Joseph Ratzinger. Nun ist es vollbracht. Anfang nächsten Jahres soll eine Enzyklika über den Glauben veröffentlicht werden. Dann liegt auch bei den Enzykliken eine große Trilogie über die drei Göttlichen Tugenden vor: Glaube (2013), Hoffnung (Spe salvi, 2007) und Liebe (Deus caritas est, 2005). Man darf gespannt sein, was der Papst sich jetzt als nächstes großes Projekt vornimmt.

Literaturhinweis: Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten. Herder-Verlag Freiburg 2012. EUR 20,–.

Die Kindheit Jesu – unter Embargo

Erstauflage: eine Million in neun Sprachen

Im Vatikan wurde heute Vormittag das neue Jesusbuch des Papstes vorgestellt: „Jesus von Nazareth – Prolog: Die Kindheitsgeschichten“. Es ist der dritte Band der Jesustrilogie von Joseph Ratzinger, Benedikt XVI. Genauer gesagt ist es eigentlich der erste Band; denn in dem vorliegenden Buch geht es um die Geburt und Kindheit Jesu bzw. das, was Lukas und Matthäus darüber in ihren Evangelien berichten. Was in dem Buch drinsteht, darf leider noch nicht verraten werden. Denn obwohl es der Weltöffentlichkeit vor wenigen Stunden in neun Sprachen präsentiert wurde, gibt es eine Sperrfrist bis heute Nacht 24 Uhr. Morgen ist das Buch dann mit einer Erstauflage von einer Million in den Buchhandlungen in rund 50 Ländern weltweit; die Startauflage der deutschsprachigen Ausgabe liegt bei 100.000.

Details zum Inhalt gibt es also erst morgen – oder bei denen, die das Embargo brechen. Soviel vielleicht vorab aus den Text-Steinbrüchen, die nach der Pressekonferenz in Rom freigegeben wurden: „Das Buch ist eine theologische Meditation“ erklärte eine brasilianische Theologin auf dem Podium. Damit dürfte der zentrale Punkt des Werks getroffen sein. Es handelt sich um eine theologische und spirituelle Annäherung an Jesus von Nazareth – mit teils sehr persönlichen Zügen des Autors. Wie schon in den anderen beiden Bänden versucht Benedikt XVI. eine Verbindung von wissenschaftlicher, historisch-kritischer Herangehensweise an die Texte mit einer religiösen Deutung. Wissenschaft/Vernunft und Glaube versucht er zusammenzubringen, um Herkunft, Geburt und Kindheit Jesu zu deuten. Es geht Ratzinger darum, die Historizität der in den Evangelien geschilderten Ereignisse sowie die Gottes-Sohnschaft Jesu plausibel zu machen.

Für Benedikt XVI. klingen etwa in den Kindheitsevangelien bereits die großen Themen des Lebens und der Botschaft Jesu an. Der universale Anspruch Jesu und der christlichen Botschaft sieht er etwa im Hinweis auf die Volkszählung unter Kaiser Augustus bei Lukas angedeutet (Lk 2,1): „Erst in diesem Augenblick, in dem eine Rechts- und Gütergemeinschaft auf breitem Raum besteht [durch das römische Weltreich] und eine universale Sprache einer kulturellen Gemeinschaft die Verständigung im Denken und Handeln ermöglicht hat, kann eine universale Heilsbotschaft, kann ein universaler Heilsbringer in die Welt hineintreten.“ Ein anderes Beispiel sind etwa die Engel bei der Verkündigung der Geburt Jesu an die Hirten. Da sprechen die Engel bereits vom „Messias“ (Lk 2,10f).

Mit der Veröffentlichung des aktuellen Bandes ist ein Herzensprojekt Joseph Ratzingers abgeschlossen. Erstmals sprach er 2002 in einem Interview über seinen Wunsch, ein Jesusbuch zu schreiben. Im Sommer 2004 waren die ersten drei Kapitel fertig; dann kam im April 2005 die Wahl zum Papst. Er nutzte jede freie Minute, um das Werk zu vollenden. Im April 2007 zu seinem 80. Geburtstag kam der erste Band heraus, der die Zeit von Jesu Taufe bis zu „Verklärung“ behandelte. 2010 kam der zweite Band von der Passion bis zur Auferstehung heraus. Jetzt „endlich“, wie Ratzinger im Vorwort schreibt, kommt der dritte Band. Insgesamt umfasst die Trilogie über 1000 Seiten. Bei allen drei Bänden steht an erster Stelle der bürgerliche Name Joseph Ratzinger; erst dann folgt der Papstname. Ratzinger möchte das Buch nicht als lehramtliche Publikation verstanden wissen, sondern als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über Jesus von Nazareth.

Kritiker warfen Benedikt XVI. in den vergangenen Jahren immer wieder vor, er kümmere sich zu wenig um die Kirchenpolitik, führe die Kirche nicht richtig, und schreibe stattdessen theologische Bücher. Wer, wenn nicht der Papst, sollte theologische Bücher über Jesus schreiben? Wichtig ist dann, dass seine Mitarbeiter wie etwa der Kardinalstaatssekretär den politischen Part gut abdecken. Ob das der Fall ist, ist ein anderes Thema.

Was der Papst zur Jungfrauengeburt sagt, zum Stern von Betlehem und dem Verhältnis von Glaube und Politik – das kommt nach Ende des Embargos; bis dahin muss die Kindheit Jesu noch etwas warten.

Kommt der Papst nach Rio?

242 Tage sind es noch bis zum nächsten Weltjugendtag. Der findet vom 23. bis 28. Juli 2013 in Rio de Janeiro in Brasilien statt. Heute wurde im Vatikan die Papstbotschaft für das Jugendtreffen am Zuckerhut veröffentlicht. Darin lädt Benedikt XVI. die Jugendlichen ein, nach Rio zu kommen. Ob er selbst allerdings kommen wird, sagt er nicht. Bisher hat der Vatikan noch keine offiziellen Reisepläne für das nächste Jahr veröffentlicht. Das ist ungewöhnlich. In den vergangenen Jahren gab es bis Mitte November meistens schon einige Ideen für mögliche künftige Reiseziele. Aber eines scheint klar, der Weltjugendtag ist ein Pflichttermin für den Papst. Ein WJT ohne Papst ist kaum vorstellbar. Benedikt XVI. ist dann 86 Jahre alt; die Reise wird sicher nicht einfach werden. Allerdings hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass die Begegnung mit Jugendlichen den Pontifex aufbaut.

In seiner Botschaft ermutigt Benedikt XVI. die Jugendlichen, ihren Glauben selbstbewusst zu leben. Er fordert sie auf, vor allem in zwei Bereichen als Missionare tätig zu sein: im „digitalen Kontinent“, dem Internet, und im Bereich der „Mobilität“. Junge Menschen reisten heute viel – aus beruflichen Gründen, zu Studienzwecken oder zur Unterhaltung. Hier böten sich viele Gelegenheiten für die Verbreitung des Evangeliums. Zum Thema Internet schreibt der Papst in Anlehnung an seine Botschaft zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel 2009: „Liebe junge Menschen, fühlt euch verantwortlich, in die Kultur dieser neuen kommunikativen und informativen Umwelt die Werte einzubringen, auf denen euer Leben ruht! Euch jungen Menschen, die ihr euch fast spontan im Einklang mit diesen neuen Mitteln der Kommunikation befindet, kommt in besonderer Weise die Aufgabe der Evangelisierung dieses ‚digitalen Kontinents’ zu.“

In Deutschland werben die Bistümer in diesen Monaten intensiv für die Teilnahme am WJT in Rio. Neben den Kosten lässt vor allem die Frage nach der Sicherheit viele Jugendliche zögern. Beim letzten Weltjugendtag in Madrid waren über 16.000 Deutsche dabei. In Rio wird sich die Zahl wohl eher im Bereich des WJT in Sydney 2008 bewegen. Damals waren 6.000 Deutsche angereist. Insgesamt rechnen die Organisatoren mit bis zu zwei Millionen Teilnehmern. Einer von ihnen soll der Papst sein. Darauf hoffen alle.

Reformation 2017 – ein Grund zu Feiern?

Mann der Ökumene: Kardinal Kurt Koch (dpa)

Gibt es 2017 etwas zu feiern oder nicht? Darüber streiten sich seit langer Zeit Katholiken und Protestanten – nicht nur in Deutschland. Der Ökumeneminister des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, stellt heute in einem Interview der Rheinischen Post noch einmal klar, dass aus katholischer Sicht das Datum kein Grund zum Feiern sei. Die Reformation habe Positives gebracht; aber sie habe auch zur Kirchenspaltung und zu den anschließenden blutigen Konfessionskriegen im 16. und 17. Jahrhundert geführt. Mit einem Reformations-Gedenken hat Koch hingegen kein Problem. Schon bei früheren Gelegenheiten erinnerte Koch bei seiner kritischen Sicht des „Jubiläums“ an die Worte des protestantischen Ökumenikers Wolfhart Pannenberg. Der hatte die Kirchenspaltung und die daraus entstandenen Konfessionskriege als eine – wenn auch ungewollte – Ursache der neuzeitlichen Säkularisierung und der damit verbundenen Abdrängung von Religion und Kirche in den privaten Bereich gesehen. Die modernen Gesellschaften hätten sich angesichts der blutigen Auseinandersetzungen der Konfessionen eine Grundlage des Zusammenlebens geschaffen, das von diesen Konfliktparteien unberührt war.

Was erwarten die Protestanten von den Katholiken mit Blick auf 2017? Der amtierende Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, wie viele andere Protestanten auch, erwartet ein Signal, ein Zeichen des Papstes. Die Reformationsbotschafterin und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margit Käßmann hingegen wird nicht müde zu betonen, dass sie vom Papst nichts mehr in Bezug auf die Ökumene erwartet. Was soll die katholische Seite mit diesen unterschiedlichen Vorstellungen machen? Immerhin wird seit geraumer Zeit in der katholischen Kirche über eine Art Schuldbekenntnis diskutiert. Aus dem Schülerkreis des Papstes verlautete im Sommer, dass auch Benedikt XVI. sich so etwas vorstellen könne. Allerdings, und darauf legt man in Rom Wert, müsse es sich dabei um ein „beidseitiges“ Vergewissern über Fehler in der Vergangenheit handeln. Denn offensichtlich ist man sich auf katholischer Seite im Klaren darüber, dass man Fehler gemacht hat und im 16. Jahrhundert durchaus Veränderungen notwendig gewesen wären.

Ganz in diesem Sinne erklärte Kardinal Koch in dem bereits erwähnten Interview, dass er seinerzeit auf der Seite der Kirchenreformer gestanden hätte. Allerdings kann sich Koch Veränderungen nur in Einheit mit Kirche und Papst vorstellen. Hier unterscheidet er sich dann vom späteren Verlauf der Reformation. Papst Benedikt XVI. bekräftigte heute übrigens noch einmal, dass „die sichtbare Einheit unter den getauften Christen“ das Ziel aller ökumenischen Bemühungen sei. Er empfing die Mitglieder der Vollversammlung des vatikanischen Einheitsrats. Dabei erklärte er, dass die Glaubenskrise in der Welt eine Herausforderung für alle Christen sei. Trotz der „Unvollständigkeit der kirchlichen Gemeinschaft“, müsse man gemeinsam gegen die wachsende religiöse Gleichgültigkeit kämpfen. Hier ließe sich im Anschluss an Pannenberg sicher fragen, ob nicht gerade die noch bestehende Spaltung Mitursache für die wachsende religiöse Gleichgültigkeit ist. Zwar werden die Auseinandersetzungen heute nicht mehr mit dem Schwert geführt. Doch gibt es nach wie vor Unterschiede und „verbale Grabenkämpfe“ um die Wahrheit, die die Menschen durchaus sensibel wahrnehmen.

Musik erfrischt

Benedikt XVI. wirkte müde, als er gestern Abend in die Sixtinische Kapelle kam. Ein kleiner Kreis von Auserwählten erwartete ihn und seinen Bruder zur vatikanischen Erstaufführung der Messe, die von Georg Ratzinger zum Heiligen Jahr 2000 komponiert worden war. Das Festival der Stiftung Pro Musica et Arte Sacra, das derzeit im Vatikan stattfindet, war der Anlass für diese Sonderveranstaltung.

Die Cappella Musicale Pontificia Sistina unter ihrem Dirigenten Massimo Palombella brachte das Werk zur Aufführung, ergänzt durch ein Credo von Palaestrina und zwei weiteren Kompositionen. Ein Genuss fuer alle Zuhörer, der Musik zu lauschen und die wunderbaren Fresken Michelangelos zu bewundern, die – zumindest die Deckenfresken – gerade erst ihr 500-jähriges Bestehen feiern konnten.

Für den Papst schien die Musik und die Gesellschaft seines Bruders ein Jungbrunnen zu sein; denn als er die Sixtinische Kapelle verließ, schien er deutlich erfrischt.